LEXPRESS Highlights aus dem Aktienrecht

In der vorliegenden Ausgabe des LEXpress sollen Themen aus dem Aktienrecht dargestellt werden, die im aktienrechtlichen Alltag immer wieder eine Rolle spielen und auch im Umfeld von KMU relevant sind. Wir wünschen Ihnen viel Spass beim Studium des LEXpress.

I. Neues Instrument des Kapitalbands

1. Neuerung

Das Schweizer Parlament hat am 19. Juni 2020 die Aktienrechtsrevision verabschiedet, dagegen wurde innert der Referendumsfrist kein Referendum ergriffen. Zurzeit werden die für die Revision notwendigen Ausführungsbestimmungen erarbeitet und es wird mit einem Inkrafttreten Anfang 2023 gerechnet.

Die Art. 653s bis 653v nOR sehen ein neues Instrument für die Veränderung des Aktienkapitals vor: Das Kapitalband. Die Statuten können den Verwaltungsrat ermächtigen, in einem Zeitraum von bis zu fünf Jahren das Aktienkapital innerhalb einer gewissen Bandbreite (Kapitalband) zu verändern. Die Ermächtigung umfasst damit sowohl Kapitalerhöhungen als auch ­Kapitalherabsetzungen. Eine genehmigte Kapitalerhöhung kann neu mit einer bisher nicht vorgesehenen «genehmigten Kapitalherabsetzung» kombiniert werden. Das bis­herige Ins­trument der genehmigten Kapitalerhöhung fällt weg und wird durch das neue Institut des Kapitalbands ersetzt.

2. Ermächtigung durch die Generalversammlung

Zuständig für die Einführung einer statutarischen Ermäch­tigung des Verwaltungsrates, das Kapital in einer gewissen Bandbreite anzupassen, ist die Generalversammlung. Sie beschliesst über das Kapitalband und dessen Ausgestaltung mit einem qualifizierten Mehr von zwei Dritteln der vertretenen Stimmen und der Mehrheit der vertretenen Aktienwerten.

3. Umfang (Art. 653s Abs. 2 nOR)

Die obere Grenze des Kapitalbands darf das im Handelsregister eingetragene Aktienkapital höchstens um die Hälfte übersteigen, die untere Grenze höchstens um die Hälfte unterschreiten. Das Mindestkapital von CHF 100’000.00 darf nicht unterschritten werden. Die statutarische Ermächtigung kann vorsehen, dass der Verwaltungsrat das Aktienkapital nur erhöhen oder nur herabsetzen kann.

4. Zeitraum (Art. 653s Abs. 1 nOR)

Der Ermächtigungszeitraum ist im Gesetz begrenzt auf maximal fünf Jahre. Die Generalversammlung ist frei, die Ermächtigung für einen kürzeren Zeitraum zu erteilen.

5. Statutarische Grundlage

Das Kapitalband bzw. die entsprechende Ermächtigung des Verwaltungsrates wird in den Statuten aufgeführt. Art. 653t nOR führt auf, welche Angaben in den Statuten festgehalten werden müssen. Neben der unteren und oberen Grenze des Kapitalbands sind unter anderem das Datum, an ­welchem die Ermächtigung endet, allfällige mit dem Kapitalband verbundene Einschränkungen, Auflagen und Bedingungen, Beschränkungen der Übertragbarkeit der neuen Aktien oder Bestimmungen über die Einschränkung oder Aufhebung der Bezugsrechte bzw. die wichtigen Gründe hierfür in den Statuten aufzuführen.

Die Generalversammlung hat eine grosse Gestaltungsfreiheit, wie sie die Ermächtigung an den Verwaltungsrat konkret ausgestaltet. Sie kann den Verwaltungsrat insbesondere einschränken, indem beispielsweise die Kapitalveränderungen anzahlmässig oder umfangmässig beschränkt werden oder an bestimmte Zwecke gebunden werden.

6. Umsetzung durch den Verwaltungsrat

Der Verwaltungsrat beschliesst über Erhöhung oder Herabsetzung des Aktienkapitals im Rahmen seiner statutarischen Ermächtigung und erlässt die notwendigen Bestimmungen, soweit diese nicht im Ermächtigungsbeschluss der Generalversammlung bzw. in den Statuten enthalten sind.

Bei der Kapitalerhöhung stehen als mögliche Formen die ordentliche Kapitalerhöhung sowie die Erhöhung aus bedingtem Kapital zur Verfügung. Die entsprechenden Bestimmungen über die ordentliche Kapitalerhöhung sowie die Erhöhung aus bedingtem Kapital gelten sinngemäss. Die Liberierung der Aktien richten sich nach den Bestimmungen über die Gründung. Es stehen damit alle Liberierungsformen zur Verfügung, sofern nicht der Ermächtigungsbeschluss die Liberierungsform festlegt.

Bei der Kapitalherabsetzung stehen als mögliche Formen die ordentliche Kapitalherabsetzung, die deklaratorische Kapitalherabsetzung und der Kapitalschnitt zur Verfügung. Auch hier gelten die entsprechenden Vorschriften über die Kapitalherabsetzungen sinngemäss.

Bei allen Kapitalveränderungen ändert der Verwaltungsrat die Statuten insbesondere betreffend den Artikel über das Aktien­kapital entsprechend.

7. Beschlüsse der Generalversammlung betreffend das Aktienkapital während der Dauer des Kapitalbands

Beschliesst die Generalversammlung während der Dauer des Kapitalbands das Aktienkapital zu erhöhen oder herabzusetzen oder die Währung des Aktienkapitals zu ändern, fällt der bestehende Beschluss über das Kapitalband dahin. Die Statuten sind entsprechend anzupassen (Art. 653v Abs. 1 nOR). Soll das Kapitalband trotz der zusätzlich beschlossenen Kapital­veränderung bestehen bleiben, muss die Generalversammlung gleichzeitig ein neues Kapitalband einführen.

Schafft die Generalversammlung während der Dauer des Kapitalbands und ausserhalb des Kapitalbands bedingtes Kapital, so erhöht sich die untere und obere Grenze des Kapital­bands entsprechend (Art. 653v Abs. 2 nOR). Die Bandbreite der Ermächtigung des Verwaltungsrates bleibt in diesem Fall unangetastet.

8. Schutz der Aktionäre / Gläubigerschutz

Im Rahmen von Kapitalerhöhungen innerhalb des Kapitalbands haben die bisherigen Aktionäre einen Anspruch auf den Teil der neu ausgegebenen Aktien, welcher ihrer bisherigen Beteiligung entspricht. Eine Einschränkung oder Aufhebung des Bezugsrechts bzw. die Gründe, aus welchen der Verwaltungsrat diese Rechte einschränken oder aufheben darf, sind im Ermächtigungsbeschluss festzulegen.

Bei Kapitalherabsetzungen wird den Gläubigern Haftungs­substrat entzogen. Entsprechend gelten auch bei Kapitalherabsetzungen innerhalb eines Kapitalbands die Bestimmungen über die Sicherstellung von Forderungen, Zwischenabschluss und Prüfungsbestätigung analog.

9. Fazit

Die Einführung eines Kapitalbands räumt den Schweizer Aktien­gesellschaften die Möglichkeit einer flexibleren Ausgestaltung der Eigenkapitalstruktur ein. Es ermöglicht es den Gesellschaften, ihr Eigenkapital je nach Bedarf schneller anpassen zu können, da kein zusätzlicher Generalversammlungs­beschluss notwendig ist. Der Bedarf für zeitnahe Anpassungen des Aktienkapitals kann insbesondere im Zusammenhang mit geplanten Investitionen oder Übernahmen (Kapitalerhöhung) oder bei einer Überkapitalisierung (Kapitalherabsetzung) ­gegeben sein. Wie stark Kapitalveränderungen künftig tatsächlich flexibilisiert werden, wird entscheidend vom Inhalt der statutarischen Ermächtigungsbestimmungen abhängen.

II. Die Durchführung von Generalversammlungen in Covid-Zeiten und nach neuem Aktienrecht

1. Die Durchführung von Generalversammlungen in Zeiten von Corona

1.1 Physische Durchführung von Generalversammlungen

Die Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Verordnung besondere Lage) wurde letztmals am 13. September 2021 geändert. Gemäss deren Artikel 10 ff. können Veranstaltungen bis zu einer Teilnehmerzahl von 1000 Personen ohne Bewilligung durchgeführt werden.

Die Organisatoren dieser Veranstaltungen, zu welchen auch Generalversammlungen gehören, müssen jedoch ein Schutzkonzept erarbeiten und umsetzen. An Veranstaltungen in Innenräumen gilt zudem eine Zertifikatspflicht, d. h. der Zugang zu Generalversammlungen wird auf Personen mit einem gültigen Covid-Zertifikat beschränkt.

Demgegenüber fallen betriebsinterne Veranstaltungen wie etwa Verwaltungsratssitzungen, die für den normalen Arbeitsablauf im Betrieb erforderlich sind, nicht unter die vorstehend dargestellten Regelungen betreffend Veranstaltungen. Hier gilt lediglich eine Empfehlung zur Online-Durchführung und es sind die Vorgaben nach Art. 25 Covid-19-Verordnung besondere Lage einzuhalten (insbesondere Massnahmen zur Einhaltung von Hygiene- und Abstandsempfehlungen).

1.2 Andere Möglichkeiten der Durchführung von Generalversammlungen

Gemäss Art. 27 der Verordnung 3 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19-Verordnung 3) kann der Veranstalter von Versammlungen von Gesellschaften jedoch auch anordnen, dass deren Teilnehmer ihre Rechte ausschliesslich auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form oder durch einen vom Veranstalter bezeichneten unabhängigen Stimmrechtsvertreter ausüben können.

Die Durchführung auf schriftlichem Weg bedeutet, dass die Teilnehmer ihre Stimm- und Wahlabgabe mittels schriftlicher Erklärung vornehmen, das heisst, entweder eigenhändig unterzeichnet oder mit qualifizierter elektronischer Signatur versehen. Nicht genügend ist die Stimmabgabe per E-Mail.

Bei der Durchführung in elektronischer Form stehen Versammlungen per Video- oder Telefonkonferenz im Vordergrund. Wichtig ist bei diesen Durchführungsarten, dass die Identifikation und Authentifikation während der ganzen Versammlung sichergestellt ist, sich alle Teilnehmer äussern, die Voten anderer Teilnehmenden hören und ihre Rechte ausüben können.

Auch wenn die Versammlung ohne physisches Teilnahmerecht der Aktionäre, Gesellschafter, Genossenschafter oder Vereinsmitglieder erfolgt, müssen der Vorsitzende, der Protokollführer und Stimmenzähler, allenfalls auch der unabhängige Stimmrechtsvertreter, der Revisionsstellenvertreter sowie im Falle von beurkundungspflichtigen Beschlüssen ein Notar weiterhin mit physischer Präsenz teilnehmen.

1.3 Einberufung der Generalversammlung

Bei der Einberufung der Generalversammlung sind die üblichen gesetzlichen und statutarischen Frist- und Formvorschriften einzuhalten. Die Generalversammlung hat wie bis anhin innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahrs stattzufinden und spätestens 20 Tage vor der Durchführung muss in der statutarisch vorgeschrieben Form einberufen werden. Sofern nicht bereits mit der Einladung erfolgt, ist spätestens vier Tage vor der Generalversammlung in einer schrift­lichen oder elektronischen Mitteilung darüber zu informieren, in ­welcher Form die Aktionäre oder Gesellschafter an der General­versammlung teilnehmen und ihre Rechte ausüben können.

1.4 Geltung der Covid-Sondervorschriften

Mit Beschluss vom 27. Oktober 2021 hat der Bundesrat den Art. 27 der Covid-19-Verordnung 3 bis zur Inkraftsetzung der Bestimmungen über die Durchführung der General­versammlungen gemäss neuem Aktienrecht vom 19. Juni 2020 (vgl. nachfolgend) längstens aber bis zum 31. Dezember 2023 verlängert. Die Sondervorschriften gelten für alle Versammlungen sämtlicher Gesellschaften (neben den Kapital­gesellschaften wie Aktiengesellschaften und GmbH, auch für die Kollektiv- und Kommanditgesellschaften, Vereine und Genossenschaften).

2. Die Durchführung von Generalversammlungen nach neuem Aktienrecht

Die Revision des Aktienrechts bewirkt im Bereich der Generalversammlungen von Aktiengesellschaften insbesondere eine Vereinfachung und Flexibilisierung der Durchführung von Generalversammlungen. Dadurch soll insbesondere deren Teilnahmequote erhöht und entsprechend die Legitimität ihrer Beschlüsse verbessert werden.

2.1 Neue Möglichkeiten der Durchführung der Generalversammlung

Neben der klassischen Präsenz-Generalversammlung an einem einzigen Tagungsort in der Schweiz kann die Generalversammlung neu auch wie folgt durchgeführt werden:

  • an einem Tagungsort im Ausland (Art. 701b nOR);
  • an mehreren Tagungsorten in der Schweiz und / oder im Ausland gleichzeitig (Art. 701a Abs. 3 nOR);
  • an einem oder mehreren Tagungsorten in der Schweiz und /oder im Ausland inklusive Möglichkeit der elektronischen Teilnahme via Internet (hybride Versammlung; Art. 701c und Art. 701e f. nOR);
  • virtuell und ohne Tagungsort (Art. 701d ff. nOR).

Gemäss Art. 701 Abs. 3 nOR soll es schliesslich zukünftig im Rahmen einer Universalversammlung (d.h. einer Generalversammlung, an der sämtliche Aktien vertreten sind) möglich sein, Beschlüsse auf schriftlichem Weg auf Papier (Zirkula­tionsbeschluss) oder in elektronischer Form zu fassen. Dies ist jedoch nur mit Zustimmung aller Aktionäre und demzufolge unter der Voraussetzung möglich, dass kein Aktionär oder Vertreter eines Aktionärs die mündliche Beratung verlangt.

Bei sämtlichen, neu zur Verfügung stehenden Möglichkeiten hat der Verwaltungsrat das Recht der Aktionäre auf Teilnahme an der Generalversammlung zu gewährleisten (Art. 701a Abs. 2 nOR). So ist er zum Beispiel auch bei der Festsetzung des Tagungsorts an das Gleichbehandlungsgebot und das Sachlichkeitsgebot gebunden. Diese Vorgaben wären möglicherweise verletzt, wenn der Verwaltungsrat ohne sachliche Begründung einen besonders ausgefallenen Tagungsort wählt, der den Aktionären die Teilnahme übermässig erschwert oder gar verunmöglicht.

2.2 Voraussetzung an Technologien für virtuelle und hybride Durchführung

In Bezug auf die rein virtuelle und hybride Generalversammlung lässt es das neue Aktienrecht offen, welche Technologien oder Dienste genutzt werden können. Die Wahl der zur Durchführung der Generalversammlung eingesetzten Technologien obliegt dem Verwaltungsrat. Dieser muss jedoch in jedem Fall sicherstellen, dass

  • für keinen der Aktionäre die Ausübung der Aktionärsrechte in unsachlicher Weise erschwert wird (Art. 701a nOR),
  • die Identität sämtlicher Teilnehmer festgestellt werden kann,
  • die Voten der Teilnehmer unmittelbar übertragen werden, und
  • sämtliche Teilnehmer sich an der Diskussion beteiligen und Anträge stellen können.

Zudem muss klares Ziel sein, dass das Abstimmungsergebnis nicht verfälscht werden kann (zum Beispiel durch Cyber­angriffe; Art. 701e Abs. 2 nOR.). Diese Mindestanforderungen dürften mit den bereits bewährten Konferenzlösungen erfüllbar sein.

Im Falle von technischen Problemen, welche protokolliert werden müssen, muss die Generalversammlung wiederholt werden, sofern sie in der Folge nicht ordnungsgemäss durchgeführt werden konnte. Beschlüsse, die vor dem Auftreten der technischen Probleme gefällt wurden, bleiben hingegen gültig (Art. 701d nOR). Nicht unter technische Probleme fallen solche im Verantwortlichkeitsbereich des einzelnen Aktionärs, zum Beispiel bei Verbindungsproblemen.

2.3 Die Einberufung der Generalversammlung

Sofern die Statuten dies vorsehen, ist es bereits nach geltendem Recht zulässig, die Einladung für die Generalversammlung auf elektronischem Weg zu versenden. Allerdings war bislang zwingend die Auflage von Geschäfts- und Revisionsbericht am Gesellschaftssitz und eine diesbezügliche schriftliche Information an die Aktionäre vorgeschrieben. Das neue Aktienrecht schafft diese physische Auflagepflicht (sowie die entsprechende Informationspflicht über die Auflage) ab und erlaubt auch den elektronischen Versand von Geschäfts- und Revisionsbericht mindestens 20 Tage vor der Generalversammlung (Art. 699a nOR). Damit wird nach Inkrafttreten der Aktienrechtsrevision die ausschliesslich elektronische Einberufung der Generalversammlung möglich. Die Einladung zur Generalversammlung muss aber nach wie vor das Datum sowie die Zeit deren Durchführung, die Durchführungsart, (bei physischer Durchführung) den Tagungsort, die Verhandlungs­gegenstände sowie sämtliche Anträge und Informationen über einen allfälligen unabhängigen Stimmrechtsvertreter enthalten (Art. 700 nOR).

3. Fazit

Mit der Sonderregelung gemäss Art. 27 Abs. 1 Covid-19-Verordnung 3 wurde aufgrund des weitreichenden Versammlungsverbots die elektronische bzw. virtuelle Generalversammlung eingeführt. Es handelt sich hierbei um eine Neuerung, die seit Jahren diskutiert wird und mit dem Inkrafttreten der Aktienrechtsrevision (hoffentlich) nahtlos weitergeführt werden kann. Im Unterschied zu den Sonderregelungen gemäss Covid-Verordnungen wird gemäss Aktienrechtsrevision eine statutarische Grundlage für die Durchführung einer virtuellen Generalversammlung vorausgesetzt. Zudem muss der Verwaltungsrat bei der virtuellen Generalversammlung gemäss Aktienrechtsrevision einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter bezeichnen, was gemäss Covid-19-Verordnung 3 nicht notwendig ist.

Trotz zusätzlicher Risiken, welche die neuen Gestaltungsmöglichkeiten ohne Zweifel mit sich bringen – die ersten Erfahrungen haben gezeigt, virtuelle Generalversammlung sind praktisch und technisch machbar und bringen eine lang ersehnte Modernisierung, Vereinfachung und Flexibilisierung.

III. Ausgabe von Aktientiteln

1. Grundlagen

Jede Aktiengesellschaft kann frei entscheiden, ob sie ihre Aktien physisch in Form eines Wertpapiers ausgibt oder ob die Aktien lediglich als Wertrecht ohne physische Ausgabe eines Wertpapiers ausgestaltet werden. Ein Aktionär hat grundsätzlich einen Anspruch auf Ausstellung eines Wertpapiers. Dies kann jedoch in den Statuten ausgeschlossen werden. Werden Wertpapiere ausgegeben, kann eine Aktiengesellschaft ent­weder ein physisches Wertpapier für jede Aktie einzeln ausstellen oder mehrere Aktien zusammen in einem physischen Aktienzertifikat zusammenfassen.

Die Aktientitel (d. h. physische Aktien oder Aktienzertifikate) werden durch den Verwaltungsrat der Gesellschaft ausgestellt und von einem Mitglied des Verwaltungsrates auf der Vorderseite unterzeichnet.

2. Ausgabe von Aktientitel im Rahmen der Gründung

Wichtig bei der Ausgabe von Aktientitel im Rahmen der Gründung einer Aktiengesellschaft ist, dass die Aktientitel erst ausgegeben werden dürfen, wenn die Gesellschaft im Handelsregister eingetragen ist. In der Praxis wird oftmals der Fehler begangen, die Aktientitel bereits anlässlich der öffentlichen Beurkundung der Gründung auszugeben. Diese Aktientitel sind jedoch nichtig.

3. Entkräftigung und Neuausgabe

Ändert sich nach der Ausgabe der Aktientitel die Höhe des Aktien­kapitals oder sollen die Aktienzertifikate neu gestückelt werden, müssen die bestehenden Aktientitel oder -zertifikate entkräftet werden. Hierfür hat der Verwaltungsrat einen Beschluss über die Entwertung und Neuausgabe der Aktientitel zu fassen. Empfohlen wird zudem, in Form einer öffentlichen Urkunde ein Entkräftungsprotokoll zu erstellen und diese öffentliche Urkunde zusammen mit dem Protokoll der Beschlüsse des Verwaltungsrates und der entkräfteten Aktientitel aufzubewahren.

4. Verlorene oder vermisste Aktientitel

Gehen Aktientitel verloren oder können diese nicht mehr aufgefunden werden, müssen diese vermissten oder verlorenen Aktientitel durch das Gericht am Sitz der Gesellschaft kraftlos erklärt werden. Ohne diese Kraftloserklärung können die durch die Aktientitel verkörperten Aktien nicht gültig übertragen und auch nicht durch neue Aktientitel ersetzt werden. Das Kraftlosverfahren dauert ab der Veröffentlichung durch das Gericht sechs Monate. Wir empfehlen daher, bei jeder Aktienübertragung bereits zu Beginn der Transaktion zu prüfen, ob die Aktientitel vorliegen und gültig sind.

IV. Beschlussfassung im Verwaltungsrat

1. Beschlussfassung

1.1 Grundsatz: Mehrheitsprinzip und Stichentscheid

Nach Art. 713 Abs. 1 OR werden die Beschlüsse des Verwaltungsrates mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Dies bedeutet, dass eine Stimmenthaltung die ­gleiche Wirkung hat, wie wenn der betreffende Verwaltungsrat gar nicht anwesend wäre. Findet also eine Verwaltungsratssitzung mit vier Verwaltungsräten statt, und stimmen zwei Verwaltungsräte mit «Ja», einer mit «Nein» und einer enthält sich der Stimme, ist der Beschluss mit 2 zu 1 Stimmen zustande gekommen. Stimmen demgegenüber zwei Verwaltungsräte mit «Ja» und zwei mit «Nein», kommt zufolge Stimmengleichheit kein Beschluss zustande. In einem solchen Fall hilft allenfalls der Stichentscheid des Vorsitzenden (i. d. R. der Verwaltungsratspräsident) weiter, sofern der Stichentscheid nicht gemäss einer Bestimmung in den Statuten der Gesellschaft ausgeschlossen ist (vgl. Art. 713 Abs. 1 OR).

Die Stimmabgabe im Verwaltungsrat erfolgt offen; dies ist aufgrund der möglichen Verantwortlichkeit der Verwaltungsratsmitglieder bzw. der «Nachvollziehbarkeit der Stimmabgabe unentbehrlich» (BSK OR II-Wernli/Rizzi, 5. A., Art. 713 Rz. 8, Seite 1120).

1.2 Qualifizierte Mehrheit als Ausnahme

Im Falle von Beschlüssen des Verwaltungsrates besteht die Möglichkeit, dass sich aus den Statuten oder einem Reglement (i. d. R. dem Organisationsreglement) das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit ergibt (vgl. dazu Böckli, Schweizer Aktienrecht, 4. A., § 13 Rz. 120 ff., Seite 1587): Das in Art. 713 Abs. 1 OR verankerte Mehrheitsprinzip ist nicht zwingend. Allerdings müssen solche Vorschriften über qualifizierte Mehrheiten auf besondere Arten von Geschäften oder Beschlüssen beschränkt sein (beispielsweise auf bedeutsame Investitionen oder Übernahmen; vgl. dazu Böckli, a.a.O., § 13 Rz. 120 ff., Seite 1587). Es geht nicht an, dass ganz generell ein qualifiziertes Quorum eingeführt wird, denn dadurch würde die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit des Verwaltungsrats und damit der Gesellschaft zu stark eingeschränkt bzw. faktisch verunmöglicht (vgl. dazu Böckli, a.a.O., 4. A., § 13 Rz. 120a, Seite 1587). Überdies gilt zu beachten, dass Vorschriften betreffend qualifizierte Mehrheiten bei der Beschlussfassung durch den Verwaltungsrat, welche sich ausschliesslich aus einem Aktio­närbindungsvertrag (ABV) ergeben, gesellschaftsrechtlich wirkungslos und unbeachtlich sind (vgl. dazu Ziffer IV.3).

1.3 Exkurs

Die Art der Stimmenzählung bzw. Beschlussfassung im Verwaltungsrat unterscheidet sich von derjenigen in der General­versammlung: Diese fasst ihre Beschlüsse grundsätzlich mit der absoluten Mehrheit der vertretenen Aktienstimmen (Art. 703 OR). Stimmenthaltungen in der Generalversammlung wirken sich demnach wie Nein-Stimmen aus. Erreichen die Ja-Stimmen nicht mindestens die Hälfte (der vertretenen Aktienstimmen) plus eine Stimme, ist der betreffende Beschluss nicht gefasst. Ein Stichentscheid des Vorsitzenden in der Generalversammlung ist von Gesetzes wegen nicht vorgesehen; er kann aber mittels entsprechender Statutenbestimmung stipuliert werden. Für bestimmte Beschlüsse der Generalversammlung sind von Gesetzes wegen qualifizierte Mehrheiten erforderlich (vgl. Art. 704 Abs. 1 OR). Grössere Mehrheiten können auch statutarisch eingeführt werden (Art. 704 Abs. 2 OR).

2. Stimmabgabe und Sorgfaltspflicht

Vor allem im Zusammenhang mit Familiengesellschaften oder KMU kommt es immer wieder vor, dass in Aktionärbindungsverträgen oder in anderen Vereinbarungen, welche die Aktionäre untereinander schliessen, Verpflichtungen zu einer einheitlichen Stimmabgabe der involvierten oder «delegierten» Verwaltungsräte enthalten sind. Solche Vorgaben, welche sich an Verwaltungsräte richten, verstossen gegen Art. 717 OR und die dort verankerte Pflicht eines jeden Verwaltungsrates, nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden. Sie sind rechtswidrig und unbeachtlich (vgl. dazu Böckli, a.a.O., § 13 Rz. 623 f., Seite 189 f.). Stattdessen ist der einzelne Verwaltungsrat gehalten, seine Entscheidung unter Anwendung aller Sorgfalt und mit dem ausschliesslichen Bestreben zu treffen, die Interessen der Gesellschaft zu wahren. Dabei darf er sich nicht von den Vorgaben oder Interessen Dritter leiten lassen.

V. Die relative Wirkung von Aktionärbindungsverträgen

1. Die anonyme Aktiengesellschaft

Es ist kein Zufall, dass die Aktiengesellschaft (AG) auf Französisch «société anonym» und auf Italienisch «società anonima», also «anonyme Gesellschaft» heisst. Denn nach den gesetz­lichen Regelungen (Art. 620 ff. OR) stellt die AG das Parade­beispiel einer reinen Kapitalgesellschaft ohne personenbezogene Elemente dar. Dem steht die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) gegenüber, welche als Kapitalgesellschaft mit ausgeprägten personenbezogenen Elementen konstruiert ist.

Im Gegensatz zur GmbH sind die Aktionäre nicht im Handelsregister aufgeführt und die Aktionäre haben auch kein Recht auf Einsicht in das Aktienbuch. Sie wissen unter Umständen also gar nicht, wer sonst noch an der AG beteiligt ist.

In finanzieller Hinsicht sind die Aktionärinnen und Aktionäre gegenüber der AG nur verpflichtet, den bei der Gründung oder Kapitalerhöhung versprochene Preis für die Aktien einzuzahlen (sog. Liberierungspflicht). Darüber hinaus kann die AG die Aktionäre auch in den Statuten nicht zu weiteren Zahlungen verpflichten (vgl. Art. 680 Abs. 1 OR).

Die AG ihrerseits ist verpflichtet, ihre Aktionäre alle gleich zu behandeln (sog. Gleichbehandlungsgebot). Es ist zwar möglich, in den Statuten verschiede Aktienkategorien vorzusehen (z. B. Stammaktien und Vorzugsaktien), innerhalb derselben Aktienkategorie dürfen einzelne Aktionäre aber nicht begünstigt oder schlechter gestellt werden.

Einzig bei der Zusammensetzung des Aktionariats gibt das Aktienrecht gewisse Gestaltungsmöglichkeiten. Die Statuten können vorsehen, dass der Verwaltungsrat der Übertragung von Aktien zustimmen muss (sog. Vinkulierung). Die Gründe, nach denen der Verwaltungsrat seine Zustimmung verweigern kann, werden durch das Aktienrecht aber stark eingeschränkt.

2. Aktionärbindungsverträge zur «Personalisierung» der Aktiengesellschaft

Obwohl die AG nicht für Unternehmen geschaffen wurde, bei denen es auf die Persönlichkeit der einzelnen Aktionärinnen und Aktionäre ankommt, werden in der Schweiz sehr viele privat gehaltene oder familiengeführte Unternehmen in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft betrieben.

Um die im Aktienrecht fehlenden personenbezogenen Elemente doch noch in die AG einzubringen, schliessen die Aktio­näre einen Aktionärbindungsvertrag (kurz «ABV») ab. Dieser enthält in der Regel Bestimmungen zur Übertragbarkeit der Aktien (Verkaufsverbote, Vorhandrechte, Kaufrechte sowie Mitnahme- und Mitverkaufsrechte), zur Wahl und Zusammensetzung des Verwaltungsrats und kann auch Regelungen zur Dividendenpolitik, zum Abstimmungsverhalten an der Generalversammlung (Stimmbindungsklauseln) oder Konkurrenzverbote enthalten. Detailliertere Ausführungen zum Aktionärbindungsvertrag finden Sie in unserem digitalen LEXpress Wirtschaftsrecht vom Oktober 2017.

3. Das Verhältnis des Aktionärbindungsvertrags zum Aktienrecht

Die Parteien müssen sich aber immer bewusst sein, dass es sich bei einem Aktionärbindungsvertrag nur um einen zwischen den Aktionären geschlossen Vertrag handelt. Die AG selber ist nicht Partei des Aktionärbindungsvertrags und kann durch diesen auch nicht verpflichtet werden. Für die AG gelten immer nur die Statuten und das Aktienrecht.

Wenn die Parteien im Aktionärbindungsvertrag also vorsehen, dass dieser den Statuten vorgehen soll, so gilt dies nur gegenüber den anderen Parteien des Aktionärbindungsvertrags und nicht gegenüber der AG selbst.

Eine AG (bzw. deren Verwaltungsrat) kann deshalb beispielsweise einem Käufer von Aktien nicht die Eintragung im Aktien­buch verweigern, weil der Verkäufer beim Verkauf dieser Aktien gegen den Aktionärbindungsvertrag verstossen hat.

In der Praxis werden deshalb im Aktionärbindungsvertrag vorgesehene Einschränkungen der Übertragbarkeit der Aktien abgesichert, indem die entsprechenden Aktien als physische Aktienzertifikate ausgegeben und bei einer Treuhandstelle ­hinterlegt werden. Damit kann verhindert werden, dass ein Dritter ohne Zustimmung der übrigen Parteien des Aktionärbindungsvertrags überhaupt Eigentümer der Aktien wird.

Andere Verletzungen des Aktionärbindungsvertrags können hingegen nicht direkt verhindert werden. Beschliesst beispielsweise die Mehrheit der Aktionäre die Ausschüttung einer ­Substanzdividende, obwohl der gemeinsam geschlossene Aktionärbindungsvertrag dies verbietet, so gilt der Beschluss für die AG trotzdem. Hier empfiehlt es sich, im Aktionär­bindungsvertrag eine Konventionalstrafe zu vereinbaren, wonach eine Vertragsverletzung automatisch zu einer vordefinierten Schadenersatzforderung der übrigen Parteien führt.

VI. Richtige Übertragung von Aktien

Jede Aktienübertragung benötigt ein gültiges Verpflichtungs- und ein gültiges Verfügungsgeschäft.

1. Verpflichtungsgeschäft

Bei einem Verkauf von Aktien stellt der Kaufvertrag das Verpflichtungsgeschäft dar. Darin werden die Einzelheiten des Verkaufs wie der Preis, die Zahlungsmodalitäten und die Gewährleistungen geregelt. Der Kaufvertrag ist nicht zwingend schriftlich abzuschliessen. Wir empfehlen jedoch, aus Beweisgründen den Kaufvertrag immer schriftlich zu fassen.

2. Verfügungsgeschäft

In der Praxis vernachlässigt wird häufig der zweite Teil der gültigen Übertragung der Aktien, das Verfügungsgeschäft. Mit dem Verfügungsgeschäft wird das Eigentum an den Aktien auf den Übernehmer übertragen. Fehlt dieses Verfügungsgeschäft, ist das Eigentum an den Aktien nicht übergegangen und der Übernehmer ist rechtlich gesehen nicht Eigentümer der Aktien geworden. Dies gilt selbst dann, wenn der Kaufvertrag schriftlich abgeschlossen und der Kaufpreis bezahlt wurde.

2.1 Bei Aktien als Wertrechte

Das Verfügungsgeschäft bei der Übertragung von Aktien gestaltet sich unterschiedlich, je nachdem ob die Aktien nur als Wertrecht (ohne physische Wertpapiere) oder als Wert­papier (einzelne Aktien oder Aktienzertifikate) ausgestaltet sind. Bei einer Übertragung von Aktien, welche nicht als physische Aktien­titel ausgestaltet sind, erfolgt das Verfügungsgeschäft in Form einer Abtretungsvereinbarung (Zession), welche zwingend schriftlich geschlossen werden muss. Darin verpflichtet sich der Abtreter, die Aktien an den Übernehmer abzutreten und tritt diese mit der Unterzeichnung der Vereinbarung ab. Der Übernehmer verpflichtet sich im Gegensatz, die Aktien zu übernehmen und übernimmt diese mit der Unterzeichnung der Vereinbarung.

2.2 Bei Aktien als Wertpapiere

Sind die Aktien als Wertpapier ausgestaltet (insbesondere als Aktienzertifikat), erfolgt das Verfügungsgeschäft durch die Übergabe der physischen Aktientitel. Zudem ist auf der Rückseite des Aktientitels das Indossament nachzuführen. Dies bedeutet, dass der Name des Übernehmers aufzuführen ist und der Abtreter das Indossament unterzeichnen muss.

3. Mitteilung an die Gesellschaft

Nach erfolgtem Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft ist die Gesellschaft zu informieren, sodass der Verwaltungsrat das Aktienbuch nachführen kann. Bei einem Erwerb von mindestens 25 % der Namenaktien einer Gesellschaft hat der Übernehmer zudem eine Meldung an die Gesellschaft über die ­wirtschaftlich Berechtigten an den Namenaktien vorzunehmen.

4. Zustimmung des Verwaltungsrates

In den meisten Fällen ist die Übertragung der Aktien durch die Statuten der Gesellschaft eingeschränkt. Diese Übertragungsbeschränkungen werden Vinkulierung genannt. Üblicher­weise ist daher die Übertragung der Aktien durch den Verwaltungsrat der Gesellschaft zu genehmigen. Dies erfolgt durch einen Beschluss des Verwaltungsrates über die Zustimmung der Aktienübertragung. Weiter ist bei vielen Aktientitel im Indossament vorgesehen, dass auch der Verwaltungsrat das Indossament unterzeichnet. Das Protokoll über die Beschlüsse des Verwaltungsrates zur Genehmigung der Aktienübertragung ist sorgfältig aufzubewahren, sodass die Übertragungen der Aktien später nachvollzogen werden können.

VOSER RECHTSANWÄLTE

Dr. Markus Fiechter

Andrea Schifferle

Joachim Huber

Fiona Gedon

Dr. Sabine Burkhalter Kaimakliotis

Die Autorinnen und Autoren dieses Beitrags:

Dr. Markus
Fiechter
Rechtsanwalt, LL.M.
+41 56 203 15 45
m.fiechter@voser.ch
M.A. Fiona
Gedon
Rechtsanwältin, Notarin
+41 56 203 15 45
f.gedon@voser.ch
Dr. Sabine
Burkhalter Kaimakliotis
Rechtsanwältin
+41 56 203 14 84
s.burkhalter@voser.ch
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