LEXPRESS Teilrevision der Bauverordnung


Am 29. Oktober 2014 beschloss der Regierungsrat eine Teilrevision der Bauverordnung (BauV). Die Änderungen traten bereits am 1. Januar 2015 in Kraft. Hauseigentümer, Architekten und auch die Behörden werden also auch dieses Jahr wieder mit neuen Vorschriften im Baurecht konfrontiert. Die vorliegende Ausgabe des LEXpress Baurecht beschäftigt sich mit den revidierten Bestimmungen der Bauverordnung.
Wir behandeln die revidierten Bestimmungen in der Reihenfolge der Bauverordnung. Dabei nehmen wir Bezug auf den vom BVU erstellten Erläuternden Bericht vom 29. Oktober 2014 (Download 1) und die Synopse (Download 2), in welcher die bisherigen und die neuen Verordnungsbestimmungen einander gegenübergestellt werden
Download 1: Erläuternden Bericht vom 29. Oktober 2014Download 2: Synopse


§ 21 BauV: Vorspringende Gebäudeteile

§ 21 BauV wird durch die Revision erheblich angereichert und verkompliziert. Er kommt nicht in allen Gemeinden sofort zur Anwendung: es ist eine nicht leicht verständliche Übergangsordnung zu beachten.

  1. Präzisierung der Drittel-Regel
    Vorspringende Gebäudeteile (z. B. Vordächer, windgeschützte Hauseingänge, Kellertreppen) dürfen schon bisher höchstens 1,50 m, bei Klein- und Anbauten höchstens 60 cm über die Fassadenflucht ragen und – mit Ausnahme von Dachvorsprüngen und Vordächern – nicht breiter sein als ein Drittel des zugehörigen Fassadenabschnitts (§ 21 Abs. 1 BauV). Neu präzisiert der revidierte Verordnungstext, dass bei zusammengebauten Gebäuden (z. B. Reihenhäusern) der vorspringende Teil je einzeln, d. h. pro Gebäudeeinheit, gemessen wird. Bisher war umstritten, ob beispielsweise eine Reihenhauseinheit den gesamten Drittel des ganzen Reihenhauses für sich konsumieren darf oder nicht. Es wurde – analog zur Drittel-Regel bei Dachdurchbrüchen – zum Teil die Auffassung vertreten, das öffentliche Recht enthalte dazu keine Regelung und es sei eine rein privatrechtliche Angelegenheit, welche Reihenhauseinheit wieviel dieses Drittels für sich beanspruchen dürfe. Die vorliegende Präzisierung schafft nun Klarheit und ist auch inhaltlich sehr zu begrüssen. Allerdings ist mit dieser Präzisierung auch eine Einschränkung verbunden: Den Eigentümern von Reihenhauseinheiten (oder anderen Gebäudeeinheiten) ist es verwehrt, eine Regelung zu treffen, welche vom öffentlichen Recht abweicht.
    Spannend ist der Fall, in welchem eine Gebäudeeinheit vor Inkrafttreten dieser Teilrevision bereits den ganzen Drittel des gesamten Fassadenabschnitts für sich beansprucht und nun ein anderer Reihenhauseigentümer an seiner Fassade einen vorspringenden Gebäudeteil anbringen möchte. Gemäss Wortlaut der neuen Bestimmung hat er Anspruch auf einen vorspringenden Gebäudeteil im Ausmass von einem Drittel seiner  Gebäudeeinheit. Da jedoch gesamthaft betrachtet der ganze Drittel bereits aufgebraucht ist, könnte argumentiert werden, dass ihm ein zusätzlicher vorspringender Gebäudeteil trotz der neuen Regelung nicht bewilligt werden darf. Das würde jedoch zu stossenden Ergebnissen führen. Viel eher ist einem Reihenhauseigentümer der vorspringende Gebäudeteil zu bewilligen, auch wenn über den gesamten Fassadenabschnitt betrachtet der Drittel bereits aufgebraucht ist. Für diejenigen Gebäudeeinheiten, welche bereits vor der neuen Regelung für sich selbst mehr als einen Drittel in Anspruch nehmen, bedeutet dies, dass ihr vorspringender Gebäudeteil aufgrund der neuen Regelung unrechtmässig wird und (nur noch) den Besitzstandsschutz (vgl. § 68 BauG) geniesst.
  2. Grenz- und Waldabstand, nicht aber Gewässerabstand
    Weiter verdeutlicht die revidierte Bestimmung in Abs. 2, dass vorspringende Gebäudeteile (lediglich) den Grenz- und den Waldabstand unterschreiten dürfen. Anders ist es im Umkehrschluss beim Gewässerabstand: Dieser ist abschliessend bundesrechtlich geregelt und lässt keine solchen Unterschreitungen des Gewässerabstands (Gewässerraum bzw. Uferbereich) zu.
  3. Strassenabstand
    Neu ist auch, dass vorspringende Gebäudeteile – mit Ausnahme von Dachvorsprüngen – den Strassenabstand nur unterschreiten dürfen, wenn sie die Voraussetzungen für eine erleichterte Ausnahmebewilligung gemäss §67a BauG erfüllen. Das bedeutet, dass nur untergeordnete Bauten und Anlagen wie namentlich Klein- und Anbauten den Strassenabstand unterschreiten dürfen und auch nur, wenn kein überwiegendes, aktuelles öffentliches Interesse entgegensteht.
    Untergeordnet im Sinne von §67a BauG bedeutet, dass sich die Baute mit wenig Aufwand wieder entfernen lässt (AGVE 2011 Nr. 37 mit Verweis auf die Botschaft des Regierungsrats vom 5. Dezember 2007 zur Teilrevision des BauG [Ges.-Nr. 07.314], S. 89). Vorspringende Gebäudeteile, welche in der Regel fest mit dem Hauptgebäude verbunden sind, können normalerweise nicht mit wenig Aufwand wieder beseitigt werden. Ein Erker im Unterabstand zur Strasse dürfte sich damit beispielsweise nicht mehr als bewilligungsfähig erweisen. Ebenfalls nicht als untergeordnet im Sinne von § 67a BauG gelten Bauten, die der notwendigen Erschliessung dienen. Demnach sind geschlossen Treppenhäuser, die vom Ausmass her als vorspringende Gebäudeteile zu qualifizieren wären, im Unterabstand zur Strasse unter der revidierten Bauverordnung nicht mehr zulässig. Das neue Recht ist demnach enger.
    Der untergeordneten Baute darf kein überwiegendes, aktuelles öffentliches Interesse entgegenstehen. In Frage kommen beispielsweise ein geplanter Strassenausbau, die Verkehrssicherheit oder siedlungsgestalterische Interessen. Nur wenn keine derartigen aktuellen öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen des Bauherrn überwiegen, ist die Unterschreitung des Strassenabstands durch einen untergeordneten vorspringenden Gebäudeteil zulässig.
    Hinsichtlich Dachvorsprünge enthält die revidierte Bauverordnung eine spezielle Regelung. Sie dürfen in den Strassenraum ragen, wenn sie das Lichtraumprofil einer Strasse bei einem späteren Ausbau nicht verletzen. Sie müssen daher wenigstens 4,50m über dem Strassenniveau liegen.
  4. Abweichende Vorschriften
    Möglich sind weiterhin von der Verordnungsbestimmung abweichende Vorschriften in Sondernutzungsplänen und Strassenbauprojekten, die die Zulässigkeit oder Nichtzulässigkeit einer Abstandsunterschreitung für vorspringende Gebäudeteile mit speziellen Baulinien regeln (§ 21 Abs. 4 BauV).
  5. Übergangsrecht
    In Gemeinden, die ihre Bau- und Nutzungsordnung noch nicht an die IVHB angepasst haben, kommt weiterhin § 2 ABauV (Anhang 3 zur BauV) zur Anwendung. Die Teilrevision ist beschränkt auf die Bauverordnung und erfasst die in den meisten Gemeinden nach wie vor geltende Regelung gemäss Allgemeiner Bauverordnung (§ 2 ABauV Anhang 3 zur BauV) nicht. In den Gemeinden, welche ihre Bau- und Nutzungsordnung noch nicht an die IVHB angepasst haben, dürfen untergeordnete Gebäudeteile (Dachvorsprünge, Vordächer, Treppen, Erker, Balkone usw.) sowie Wintergärten und Windfänge Baulinien, den Grenzabstand sowie den Wald- und Strassenabstand wie bisher um (höchstens) 1,50 m überschreiten. Im Unterschied zu den Gemeinden, die ihre Bau- und Nutzungsordnung bereits an die IVHB angepasst haben, gelten die Einschränkungen bezüglich der Unterschreitung des Strassenabstands also (noch) nicht.
  6. Fazit
    Die Änderungen von § 21 BauV sind zu einem grossen Teil nachvollziehbar. Insbesondere die Präzisierung, dass bei zusammengebauten Gebäuden (insbesondere Reihenhäusern) der vorspringende Gebäudeteil je einzeln, d. h. pro Gebäudeeinheit, gemessen wird, ist zu begrüssen. Die Verschärfung der Voraussetzungen für die Unterschreitung des Strassenabstands durch vorspringende Gebäudeteile ist von der Idee her nachvollziehbar, führt aber zu einer weiteren Verkomplizierung. Wenig verständlich ist, dass die Änderungen nur die Gemeinden, welche ihre Bau- und Nutzungsordnung bereits an die IVHB angepasst haben, per sofort treffen. Dies führt leider zu einer (weiteren) uneinheitlichen Rechtsanwendung innerhalb des Kantons, welche besser verhindert worden wäre. Es hätte lediglich gleichzeitig auch § 2 ABauV (Anhang 3 zur BauV) revidiert werden müssen. So wären die Änderungen gleich-zeitig und in sämtlichen Gemeinden per 1. Januar 2015 in Kraft getreten.

§ 24 BauV: Dachgeschosse
Die Revision beschränkt sich auf eine Ergänzung: In § 24 BauV wird ein Abs. 1bis eingefügt. Dafür wird Abs. 1 lit. c BauV auf-gehoben, der dasselbe Thema beschlug. Die neue Regelung fällt differenzierter aus. Sie kommt nicht in allen Gemeinden sofort zur Anwendung: es ist eine nicht leicht verständliche Übergangsordnung zu beachten.

  1. Die neue Zwei-Drittel-Regel

    Sofern die Gemeinde nichts anderes festlegte, durfte bis anhin die Dachfläche nur auf einem Geschoss und höchstens auf einem Drittel der Fassadenlänge Dachdurchbrüche wie Dachaufbauten, Dacheinschnitte, spezielle Giebelkonstruktionen oder Ähnliches aufweisen. Auf weiteren Dachgeschossebenen konnten zur Belüftung vereinzelte Dachflächenfenster mit Einbaugrösse von höchstens 0,5 m2 bewilligt werden (§ 24 Abs. 1 lit. c i. V. m. Abs. 2 BauV).
    Neu regelt § 24 Abs. 1bis BauV, in welchem Umfang Dachdurchbrüche zulässig sind. Sie sind weiterhin nur auf einem Geschoss erlaubt, jedoch dürfen sie pro Gebäudeeinheit neu bis zwei Drittel der Fassadenlänge breit sein. Aus der «Drittel-Regel» wird also die «Zwei-Drittel-Regel». Nur wenn das Gebäude geschützt ist oder es in einer Zone mit erhöhten Anforderungen an das Orts- und Landschaftsbild liegt, sollen Dachdurchbrüche weiterhin nur auf einem Drittel der Fassadenlänge möglich sein. Zudem präzisiert der Zusatz «pro Gebäudeeinheit», dass die Einhaltung der zulässigen Dachdurchbrüche für jede Gebäudeeinheit einzeln gemessen wird. So wird bei zusammengebauten Gebäuden verhindert, dass eine Gebäudeeinheit alle möglichen Dachdurchbrüche für sich alleine konsumieren kann.
    Auch bei den Dachdurchbrüchen stellt sich die Frage, wie mit Fällen von aneinandergebauten Gebäudeeinheiten (beispielsweise Reihenhäuser) umzugehen ist, in welchen eine Gebäudeeinheit bei Inkrafttreten dieser Teilrevision bereits den ganzen Drittel der gesamten Fassadenlänge für sich beansprucht und nun ein anderer Reihenhauseigentümer bei seiner Gebäudeeinheit einen Dachdurchbruch vornehmen will. Nach dem Wortlaut der neuen Bestimmung hat er Anspruch auf Dachdurchbrüche im Ausmass von zwei Dritteln der Fassadenlänge seiner Gebäudeeinheit. Zusammen mit weiteren zulässigen Dachdurchbrüchen bei den anderen Gebäudeeinheiten könnte dies gesamthaft betrachtet zu einer Überschreitung des zulässigen Masses von zwei Dritteln führen. Es könnte daher argumentiert werden, dass zusätzliche Dachdurchbrüche trotz der neuen Regelung nicht bewilligt werden dürfen. Das würde jedoch – wie bereits bei den vorspringenden Gebäudeteilen ausgeführt – zu stossenden Ergebnissen führen. Viel eher sind einem Reihenhauseigentümer weitere Dachdurchbrüche bis zu zwei Dritteln der Fassadenlänge seiner Wohneinheit zu bewilligen, auch wenn über den gesamten Fassadenabschnitt betrachtet die zwei Drittel bereits konsumiert sind. Für diejenigen Gebäudeeinheiten, welche bereits vor der neuen Regelung für sich selbst mehr als zwei Drittel in Anspruch genommen haben, bedeutet dies, dass ihre Dachdurchbrüche aufgrund der neuen Regelung unrechtmässig werden und (nur noch) den Besitzstandsschutz (vgl. § 68 BauG) geniessen.
  2. Grösse der zulässigen Dachflächenfenster

    Die bereits unter altem Recht zulässigen vereinzelten Dachflächenfenster auf weiteren Dachgeschossebenen waren bisher auf eine Einbaugrösse von 0,50 m2 begrenzt. Neu wird die Einbaugrösse auf 0,75 m2 vergrössert, was eine bessere Belichtung des Dachgeschosses ermöglicht.
  3. Übergangsrecht

    Der Verordnungsgeber hat der neuen Bestimmung zu den Dachdurchbrüchen eine Übergangsbestimmung gewidmet. Der neue § 24 Abs. 1bis BauV gilt nämlich erst, wenn die Gemeinde ihre Bau- und Nutzungsordnung nach dem 1. Januar 2015 rechtskräftig angepasst, die Baubegriffe der IVHB übernommen und nichts Abweichendes festgelegt hat (§ 63 Abs. 3 BauV). In allen anderen Gemeinden gilt immer noch § 16 ABauV (Anhang 3 zur BauV). Diese Bestimmung wird hinsichtlich des Zusatzes «pro Gebäudeeinheit» und Einbaugrösse der Dachflächenfenster bis 0,75 m2 jedoch ebenfalls abgeändert, weshalb diese beiden Änderungen in Gemeinden, in denen immer noch die ABauV (Anhang 3 zur BauV) gilt, bereits am 1. Januar 2015 in Kraft getreten sind. Die neue Zwei-Drittel-Regel gilt demnach nur in folgenden Fällen:
    1. Die Gemeinde hat die Baubegriffe der IVHB übernommen.
      1. Die Gemeinde hat nach dem 1. Januar 2015 eine Revision der kommunalen Bauordnung zur Vorprüfung eingereicht.
        1. Die Änderung der kommunalen Bauordnung ist rechtskräftig geworden.
          1. Das kommunale Recht enthält keine abweichende Regelung.
  4. Fazit

    Die Einführung der Zwei-Drittel-Regel dient der Mobilisierung innerer Nutzungsreserven und der verdichteten Bauweise. Das ist grundsätzlich zu begrüssen. Schade ist aber, dass die Bestimmung nicht überall per sofort anwendbar ist. Während die Revision hinsichtlich des Zusatzes «pro Gebäudeeinheit» und der Einbaugrösse der Dachflächenfenster bis 0,75 m2 sofort in allen Gemeinden anzuwenden ist, werden der eigentlich bedeutendsten Bestimmung (Zwei-Drittel-Regel) zahlreiche Hindernisse in den Weg gelegt. Die Rücksichtnahme auf die Gemeinde (sie kann ohne Zugzwang auf die neue Regel reagieren und etwas Abweichendes festlegen) ist zwar ebenfalls nachvollziehbar, doch ist davon auszugehen, dass nur ein sehr kleiner Teil aller Gemeinden eine Beibehaltung der Drittel-Regel beschliessen wird.

§ 25 BauV: Attikageschosse

§ 25 BauV wird präzisiert. Die neue Vorschrift gilt nur in denjenigen Gemeinden, welche die IVHB bereits in ihre Bau- und Nutzungsordnung übernommen haben bzw. ab Übernahme der IVHB in die Bau- und Nutzungsordnung.

  1. Attikagrundfläche: Balkone und Loggias

    Das Attikageschoss darf höchstens 60 % der Fläche eines Vollgeschosses betragen (§25 Abs. 1 BauV). Eine Unsicherheit bestand bisher darin, ob die über Balkonen oder Loggias liegende Fläche bei der Berechnung der Attikagrundfläche mitgezählt werden darf. Neu bestimmt §25 Abs. 1 BauV explizit, dass Balkone nicht zur Vollgeschossfläche zählen. Sie dürfen demnach für die Berechnung der zulässigen Attikageschossfläche nicht mitberücksichtigt werden.
    Der Erläuternde Bericht zur Teilrevision der BauV legt dar, dass es keine Rolle spiele, ob der Balkon über die Fassadenflucht hervorkragt oder zurückspringt und (lochfassadenartig) innerhalb der Gebäudekubatur liegt. Nach dem Begriffsverständnis des Verordnungsgebers zählen somit auch Loggias zu den Balkonen. Das ist begrifflich nicht korrekt. Ob die Gleich-behandlung sachlich richtig ist, darf zudem mit Fug in Zweifel gezogen werden. Viele Gemeinden pflegten mit gutem Grund die Praxis, Loggias für die Berechnung der zulässigen Attikagrundfläche einzubeziehen, Balkone jedoch nicht. Störend ist, dass der Wortlaut von § 25 Abs. 1 BauV nur die Balkone erwähnt, aber im Erläuternden Bericht kommentiert wird, darunter würden auch Loggias fallen. Wortlaut von § 25 BauV und Erläuternder Bericht fallen folglich auseinander. Damit bleibt eine gewisse Rechtsunsicherheit.
  2. Attikagrundfläche: Andere Bauteile

    Offen bleibt mit der Revision von § 25 Abs. 1 BauV die Frage, ob auch andere Bauteile nicht zur Berechnung der Attikagrundfläche herangezogen werden dürfen. Zu denken ist unter anderem an Laubengänge, aussenliegende Treppenhäuser oder Liftschächte. Dabei handelt es sich nicht um Balkone, weshalb solche Bauteile vom neuen Wortlaut nicht erfasst werden. Mit der Revision beabsichtigt der Regierungsrat, die für die Berechnung verwendbaren Fläche – und damit die Attikagrundfläche – einzuschränken. Es ist deshalb davon auszugehen, dass auch solche Bauteile wie Balkone beurteilt werden und darum nicht zur Berechnung der Attikagrundfläche dienen dürfen.
  3. Übergangsrecht

    In Gemeinden, die ihre Nutzungsplanung bereits an die IVHB angepasst haben, entfaltet die Änderung sofortige Wirkung, d. h. auf Baubewilligungen, die nach dem 1. Januar 2015 erteilt werden, findet mangels spezieller Übergangsbestimmungen grundsätzlich das neue Recht Anwendung (BGE 135 II 384 E. 2.3 S. 390; 125 II 591 E. 5e /aa S. 598; je mit Hinweisen).
    Da mangels einer vorgängigen Ankündigung oder Vernehmlassung Baugesuchsteller über die Rechtsänderung kaum informiert waren, dürften etliche hängige Baugesuche nicht mehr bewilligungsfähig sein.
    Aufgepasst: In Gemeinden, die ihre Bau- und Nutzungsordnung noch nicht an die IVHB angepasst haben, gilt weiterhin § 16a ABauV (Anhang 3 zur BauV). Diese Bestimmung ist von der Teilrevision der BauV nicht betroffen, d. h. die vorgenommene Präzisierung betreffend Nichtanrechnung der Balkone kommt hier nicht zur Anwendung.

§ 36 BauV: Energetische Sanierung von Bauten und Anlagen

Der bisherige § 36 Abs. 1 BauV wird ersetzt. § 36 Abs. 2 BauV bleibt unverändert. Die Verordnungsänderung ist am 1. Januar 2015 in Kraft getreten und sofort, auch auf bereits hängige Baugesuche, anwendbar.

  1. Grund für die Änderung von § 36 Abs. 1 BauV
    Mit der RPG-Revision, welche das Schweizer Volk am 13. März 2013 angenommen hat und welche am 1. Mai 2014 in Kraft getreten ist, wurde auch das eidgenössische Energiegesetz (EnG; SR 730) geändert, indem Art. 9 Abs. 3 EnG durch eine lit. e ergänzt wurde (sogenannte Fremdänderung). Das ist der Grund für die Anpassung von § 36 BauV (Erläuternder Bericht des BVU vom 29. Oktober 2014, S. 1 und S. 3).
    Nach Art. 9 Abs. 3 lit. e EnG haben die Kantone Vorschriften zu erlassen über «die Erzeugung erneuerbarer Energien und Energieeffizienz: Bei beheizten Gebäuden, welche mindestens den Minergie-, MuKEn-Standard oder einen vergleichbaren Baustandard erreichen, wird die Überschreitung von maximal 20 cm für die Wärmedämmung oder Anlage zur besseren Nutzung einheimischer erneuerbarer Energien bei der Berechnung insbesondere der Gebäudehöhe, der Gebäude-, Grenz-, Gewässer-, Strassen- oder Parkplatzabstände und bei den Baulinien nicht mitgezählt.»
    Der Bundesgesetzgeber verpflichtet demnach nicht nur die Kantone zum Erlass von Vorschriften, er gibt auch gleich gewisse Inhalte vor. Er greift damit in die Gesetzgebungskompetenz des Kantons ein.
  2. Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 36 Abs. 1 BauV auf die Nutzung einheimischer erneuerbarer Energien

    Bisher war die Abweichung von bestimmten Bauvorschriften nur zulässig für die Wärmedämmung von bestehenden Bauten und Anlagen. Neu sind solche Abweichungen auch zulässig «zur besseren Nutzung einheimischer erneuerbarer Energien». Insofern ist der Anwendungsbereich von § 36 Abs. 1 BauV erweitert worden.
    Erneuerbare Energien sind: Wasserkraft, Sonnenenergie, Geothermie, Umgebungswärme, Windenergie, Energie aus Biomasse und aus Abfällen aus Biomasse (Art. 4 Abs. 1 lit. c des eidgenössischen Stromversorgungsgesetzes, Art. 1 lit. f der eidgenössischen Energieverordnung [SR 730.01] und § 3 des aargauischen Energiegesetzes [SAR 773.200]). Viele Anwendungsfälle von § 36 Abs. 1 BauV sind in diesem Bereich nicht vorstellbar: Hauptsächlich dürfte es sich um Solaranlagen an Fassaden handeln, mit welchen die zulässigen Gebäudeabmessungen überschritten werden und / oder Abstandsvorschriften unterschritten werden.
  3. Bauvorschriften, von denen gemäss § 36 Abs. 1 BauV abgewichen werden darf

    Abweichungen sind wie bisher zulässig von den Vorschriften über Abstände, Gebäudeabmessungen (neu als Gebäudemasse bezeichnet) und Nutzungsziffern. Ausdrücklich erwähnt werden neu auch die Baulinien, was von Art. 9 Abs. 3 lit. e EnG vorgegeben ist. Von besonderem Interesse ist, dass auch von den Gewässerabständen abgewichen werden darf; Art. 9 Abs. 3 lit. e EnG ist als Bundesrecht gleichrangig mit den eidgenössischen Vorschriften über die Gewässerabstände (Art. 36a Abs. 1 GschG, Art. 41a f. GSchV bzw. GschV-Übergangs-bestimmungen zur Änderung vom 4. Mai 2011), weshalb diese Regelung zulässig ist.
    Die Abweichungen von den Vorschriften betreffend Gebäudemasse, Abstände und Baulinien sind aber neu auf 20 cm beschränkt. Das ergibt sich direkt aus Art. 9 Abs. 3 lit. e EnG. Das muss von § 36 Abs. 1 BauV übernommen werden. Bisher war das Mass der Abweichung nicht beschränkt. Insoweit ist das neue Recht restriktiver.
    Weiterhin unbeschränkt ist das Mass der Abweichung bei den Nutzungsziffern. Hier wäre eine Beschränkung sachlich gar nicht möglich.
  4. Begriff der «erforderlichen» Abweichungen

    Nach dem alten § 36 Abs. 1 BauV waren die durch Massnahmen «bedingten» Abweichungen von Vorschriften zulässig, nach dem neuen § 36 Abs. 1 BauV ist die für die Massnahmen «erforderliche» Abweichung zulässig. Diese Veränderung im Begriff führt zur Frage, ob damit auch eine inhaltliche Änderung verbunden sei. Das ist aber nicht der Fall: Für die Zulässigkeit der Abweichung genügt es weiterhin, dass sie durch die Wärmedämmung oder zur besseren Nutzung einheimischer erneuerbarer Energien bewirkt wird. Namentlich wird auch nach dem neuen § 36 Abs. 1 BauV keine Abwägung stattfinden müssen, ob die Abweichung von den Bauvorschriften nicht verhindert werden könnte durch andere Massnahmen, beispielsweise durch eine Innen- statt eine Aussendämmung. Insofern sind weiterhin auch freiwillige energetische Sanierungen ohne weiteres möglich, auch wenn sie (im zulässigen Mass) zur Abweichung von Bauvorschriften führen.
  5. Anlass der energetischen Sanierung

    Die Anforderungen an den Wärmeschutz von Bauten und Anlagen sind in der kantonalen Energieverordnung festgelegt (siehe namentlich § 5 EnergieV [SAR 773.211]). Für gewisse Bauten sind Erleichterungen oder ist sogar die Befreiung von diesen Anforderungen zulässig (§ 7 EnergieV). Die Möglichkeit einer solchen Erleichterung oder gar Befreiung ist aber kein Grund, die Abweichung im Sinne von § 36 Abs. 1 BauV nicht zuzulassen. Vielmehr ist mit § 36 Abs. 1 BauV zu ermöglichen, dass auf Erleichterungen oder gar die Befreiung verzichtet wird.
    Für die Inanspruchnahme der Privilegien von § 36 Abs. 1 BauV kann es keine Rolle spielen, ob die energetische Sanierung gesetzlich vorgeschrieben ist (siehe z. B. § 4 Abs. 2 und Abs. 3 EnergieG) oder sie freiwillig erfolgt. Ebenso ist nicht mass-gebend, welcher Standard mit der energetischen Sanierung erreicht wird; vorausgesetzt ist einzig, dass eine energetische Verbesserung erzielt wird.
  6. Anwendungsbereich «bestehende Bauten und Anlagen»

    § 36 Abs. 1 BauV beschränkt den Anwendungsbereich auf bestehende Bauten und Anlagen.
    Der Erläuternde Bericht hält dazu fest, dass ein Abweichen von Bauvorschriften nicht zulässig ist für neue Gebäude, die die Anforderung an die Energieeffizienz erfüllen können, ohne auf solche Abweichungen angewiesen zu sein (S. 3). Das könnte missverstanden werden: Das BVU geht davon aus, dass neue Gebäude die Anforderungen an die Energieeffizienz erfüllen müssen, ohne auf Abweichungen von Bauvorschriften angewiesen zu sein. Andernfalls würde die klare Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 36 Abs. 1 BauV auf bestehende Bauten und Anlagen unterlaufen.
    Der Verordnungsgeber hatte wahrscheinlich das Bild vor Augen, dass wegen einer neuen Aussendämmung beispielsweise eine Abstandsvorschrift verletzt würde und dadurch die an sich erstrebenswerte Aussendämmung nicht bewilligungsfähig wäre. Das führt zu einem sehr engen Begriff der bestehenden Bauten und Anlagen: Er beschränkt sich auf entsprechende Fassaden oder Bau- und Anlageteile, welche durch die energetische Sanierung rechtswidrig würden. Nicht in den Anwendungsbereich von § 36 Abs. 1 BauV fallen danach darüber hinausgehende Veränderungen von bestehenden Gebäuden, beispielsweise neue Anbauten: Neue Anbauten an bestehende Gebäude müssen zwar die energetischen Anforderungen für Neubauten erfüllen (§ 1 Abs. 2 EnergieV), aber sie haben – samt Wärmedämmungen oder Solarpanels etc. – die  Bauvorschriften (Gebäudeabmessungen, Abstandsvorschriften etc.) einzuhalten. Bei solchen neuen Anbauten besteht Spielraum, die Vorschriften über Gebäudeabmessungen oder Abstände vollumfänglich einzuhalten, weshalb es – gemäss § 36 Abs. 1 BauV – keine Privilegierung braucht.
  7. Kritik am Anwendungsbereich «bestehende Bauten und Anlagen»

    Der eidgenössische Art. 9 EnG steht im 3. Kapitel «Sparsame und rationelle Energienutzung». Die Kantone werden verpflichtet, günstige Rahmenbedingungen für die sparsame und rationelle Energienutzung sowie die Nutzung erneuerbarer Energien zu schaffen (Abs. 1). Insbesondere haben sie Vorschriften über die sparsame und rationelle Energienutzung in Neubauten und bestehenden Gebäuden zu erlassen (Abs. 2). Art. 9 Abs. 3 EnG nennt eine ganze Reihe von Themen, welche von den Kanto-nen zu regeln sind. Nach Art. 9 Abs. 3 lit. e EnG, der mit der RPG-Revision eingefügt wurde, sind Vorschriften zu erlassen über «die Erzeugung erneuerbarer Energien und Energieeffizienz: Bei beheizten Gebäuden, welche mindestens den Minergie-, MuKEn-Standard oder einen vergleichbaren Baustandard erreichen, wird die Überschreitung von maximal 20 cm für die Wärmedämmung oder Anlage zur besseren Nutzung einheimischer erneuerbarer Energien bei der Berechnung insbesondere der Gebäudehöhe, der Gebäude-, Grenz-, Gewässer-, Strassen- oder Parkplatzabstände und bei den Baulinien nicht mitgezählt.»
    Art. 9 Abs. 3 lit. e EnG ist somit nicht beschränkt auf bestehende Bauten und Anlagen. Art. 9 EnG möchte die Energieeffizienz und der Einsatz von erneuerbaren Energien bei Gebäuden fördern. Dieser Zweck ist nicht beschränkt auf «bestehende Bauten und Anlagen», der Wortlaut erwähnt ausdrücklich auch Neubauten (Abs. 2). Vorausgesetzt ist aber generell, dass die Bauten oder Anlagen einen bestimmten energetischen Baustandard erreichen. Nur dann dürfen sie von den Bauvorschriften abweichen.
    § 36 Abs. 1 BauV ist demnach zu eng, wenn er nur Abweichungen von den Bauvorschriften durch «bestehende Bauten und Anlagen» erlaubt. Gemäss Art. 9 Abs. 3 lit. e EnG sind auch neue, beheizte Gebäude, welche mindestens den Minergie-, MuKEn-Standard oder einen vergleichbaren Baustandard erreichen, privilegiert.
    Auf der andern Seite geht § 36 Abs. 1 BauV weiter als Art. 9 Abs. 3 lit. e EnG, weil nicht nur beheizte Gebäude, welche mindestens den Minergie-, MuKEn-Standard oder einen vergleichbaren Baustandard erreichen, privilegiert sind, sondern alle bestehenden Bauten und Anlagen, wenn die Abweichungen durch energetische Sanierungen (irgendeines Standards) bedingt sind.
    Das BVU ist in seinem Erläuternden Bericht vom 29. Oktober 2014 deshalb zu eng, wenn es schreibt, es gehe nur darum, die sinnvolle energetische Sanierung beheizter Gebäude nicht zu behindern (S. 3). Wenn es dabei auf die «Materialien zum Bundesrecht» verweist, ist das nicht hilfreich: Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 EnG sind seit 1998 in Kraft. Sie bestimmen die Tragweite von Art. 9 Abs. 3 EnG. Aus der Botschaft zum EnG vom 21. August 1996 ergibt sich, dass mit Art. 9 EnG unter anderem die «Konflikte mit Bau- und Grenzabständen bei Aussenisolationen» beseitigt werden sollen (S. 1106), und zwar bei bestehenden Bauten wie bei Neubauten (S. 1107). Zum mit der RPG-Revision eingefügten Art. 9 Abs. 3 lit. e EnG gibt es keine Materialien ausser zwei Aussagen aus dem Stände- bzw. Nationalrat. Diese enthalten zwar die vom BVU in Fn. 8 zitierten Aussagen. Die ganzen Ausführungen sind aber nicht derart einseitig, wie aus den Zitaten geschlossen werden könnte. Unabhängig davon müsste in Art. 9 Abs. 3 lit. e EnG ausdrücklich stehen, wenn diese Bestimmung nur für «bestehende Bauten und Anlagen» gelten würde. Da es keine solche Einschränkung gibt, gilt Art. 9 Abs. 3 lit. e EnG wie der ganze Art. 9 EnG für bestehende Bauten und Anlagen wie auch für neue Bauten und Anlagen.
  8. Bundesrechtskonformität von § 36 Abs. 2 BauV

    § 36 Abs. 2 BauV bleibt unverändert: Führen energetische Sanierungen von Bauten und Anlagen zu einer Unterschreitung des Strassenabstands, ist weiterhin die Zustimmung des Strasseneigentümers erforderlich.
    Nach Art. 9 Abs. 3 lit. e EnG wird bei beheizten Gebäuden, welche mindestens den Minergie-, MuKEn-Standard oder einen vergleichbaren Baustandard erreichen, die Überschreitung von maximal 20 cm für die Wärmedämmung oder Anlage zur besseren Nutzung einheimischer erneuerbarer Energien bei der Berechnung insbesondere der Strassenabstände nicht mitgezählt. Wird eine solche Unterschreitung des Strassenabstands nicht «mitgezählt», ist sie ohne weiteres bewilligungsfähig. Da sie nicht in den Strassenabstand eingreift (da sie nicht mit-gezählt wird), braucht es folglich – von Bundesrechts wegen – auch keiner Zustimmung des Strasseneigentümers. Unseres Erachtens ist § 36 Abs. 2 BauV seit Inkrafttreten von Art. 9 Abs. 3 lit. e EnG am 1. Mai 2014 bundesrechtswidrig und daher nicht mehr anwendbar.

 
§§ 37 Abs. 1, 41 Abs. 1, 43 Abs. 4 und 44 Abs. 2 BauV: Verweise auf SIA- und VSS-Normen


In verschiedenen Paragraphen (§§ 37 Abs. 1, 41 Abs. 1, 43 Abs. 4 und 44 Abs. 2 BauV) nimmt der Regierungsrat untergeordnete Änderungen vor, die aber im Einzelfall erhebliche Auswirkungen haben können. Die Änderungen sind per sofort anwendbar.

  1. Gegenstand der Revision

    Bis zum 31. Dezember 2014 konnten die in der Bauverordnung für anwendbar erklärten Normen des VSS (Verband Schweizerischer Strassen- und Verkehrsfachleute) und der SIA (Schweizerischer Ingenieur- und Architektenvereins) beim BVU eingesehen werden. Diese Einsichtnahme ist ab dem 1. Januar 2015 nicht mehr möglich. Im Erläuternden Bericht führt das BVU aus, dass urheberrechtliche Gründe dazu Anlass gegeben haben. Die Hintergründe kennen wir nicht. Neu verweisen die Fussnoten auf den Webshop des SIA respektive auf die Website des VSS. Dort können die Normen erworben werden, für teils mehrere hundert Franken pro Norm.
  2. Auswirkungen der Revision

    Diese Änderung ist alles andere als bürgerfreundlich: Wie soll nun ein Bauherr herausfinden, wie er das geplante Gebäude behindertengerecht erstellen kann, wenn er nicht mehr Zugang zur relevanten Norm SIA 500 hat (Preis CHF 180.–)? Kann es sein, dass er zuerst die VSS-Norm SN 640 281 erwerben muss, wenn er wissen möchte, ob die Parkplatzberechnung der in der Nachbarschaft geplanten Gewerbeliegenschaft korrekt ist (Preis CHF 71.65)?
    Auch die rechtlichen Konsequenzen sind gravierend: § 37 Abs. 1 BauV, § 41 Abs. 1 BauV, § 43 Abs. 4 BauV und § 44 Abs. 2 BauV erklären private Normwerke des SIA und des VSS als anwendbar. Mit diesen Verweisen werden diese privaten Normen zu staatlich gesetztem Recht (vgl. Georg Müller, Elemente einer Rechtssetzungslehre, 2. Aufl. 2006, Rz. 370; Christoph Errass, Kooperative Rechtssetzung, 2010, S. 279 Ziff. 357 mit weiteren Hinweisen).
    Rechtsnormen werden erst mit der Publikation für jedermann verbindlich (vgl. § 7 Gesetz über die amtlichen Publikationsorgane [Publikationsgesetz, PuG, SAR 150.600]). Jedermann muss die Möglichkeit haben, eine Rechtsnorm ohne besonderen Aufwand einzusehen. Die Bauverordnung muss somit öffentlich kundgemacht (amtlich veröffentlicht) werden (Art. 5 BV; Yvo Hangartner, Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar 2008, Art. 5 Rz. 16). Das gilt auch für private Normwerke der SIA und des VSS, da sie mit den Verweisen in der Bauverordnung zu staatlichem Recht werden. Durch die Möglichkeit, die Normen beim BVU einzusehen, wurde dieser Nachteil bis anhin weitgehend wettgemacht. Da aber der Zugang zu den verwiesenen Normen des VSS und der SIA neu nicht mehr möglich ist – resp. nur bei einem käuflichen Erwerb der Normen, also mit besonderem Aufwand – ist das Publikationsgebot verletzt. Es lässt sich daraus folgern, dass die verwiesenen Normen dem Einzelnen nicht mehr entgegengehalten werden können.
    Streng gesehen sind die privaten Normwerke des SIA und des VSS, auf welche in den §§ 37 Abs. 1, 41 Abs. 1, 43 Abs. 4 und 44 Abs. 2 BauV verwiesen werden, somit nicht rechtsverbindlich. Wenn es aus irgendwelchen Gründen nicht möglich ist, unter Einhaltung von rechtsstaatlichen Grundsätzen auf private Normen zu verweisen, dann gibt es nur einen Weg: Es darf nicht auf private Normen verwiesen werden. Der Verordnungsgeber ist gezwungen, eigene Normen zu erarbeiten. Das hat das BVU beispielsweise mit dem Merkblatt für die Sicht an Knoten und Ausfahrten getan.
    Die praktischen Auswirkungen sind nicht absehbar. Sicher ist, dass sich gerade Bauherrschaften fügen und die Normen käuflich erwerben werden, um Diskussionen mit den Baubewilligungsbehörden zu vermeiden. Bei Bauherrschaften, die von den Normen abweichen, wird die Baubewilligungsbehörde im Einzelfall begründen müssen, weshalb sie die Normen anwendet, obwohl sie nicht ordnungskonform publiziert ist. Das wird zu einigen Knacknüssen führen. Es wäre gut, wenn das BVU hierzu Begründungsmuster anbieten würde. Wir gehen davon aus, dass die Normen teilweise nicht durchgesetzt werden können, zum Beispiel in Fällen von nachträglichen Baubewilligungsverfahren.

§ 43 BauV: Parkfelderzahl

Geändert wurde nur der Abs. 4 über die Parkierungsanlagen von Velos und Mofas: Die VSS-Norm von 1996 wird durch die neue VSS-Norm ersetzt. Die neue VSS-Norm SN 640 065 unterscheidet zwischen Kurzzeit-, Langzeit- und Dauerparkieren und gibt präzisere Richtwerte für unterschiedliche Nutzungen an. Die Änderung ist sofort auf alle Baugesuche, die seit dem 1. Januar 2015 beurteilt werden, anzuwenden.

§ 44 BauV: Gestaltung von Parkfeldern und Verkehrsflächen

Die Revision umfasst nur den Abs. 2: Die VSS-Norm von 1996 wird durch die neue VSS-Norm ersetzt. Gegenüber der alten Norm ist die neue Norm detaillierter. Die Änderung ist sofort auf alle Baugesuche, die seit dem 1. Januar 2015 beurteilt werden, anzuwenden.

§ 49 BauV: Baubewilligungsfreie Bauten und Anlagen

In § 49 BauV wird der Begriff der Kleinstbauten (Abs. 2 lit. d) präzisiert. Die Bestimmung ist in allen Gemeinden sofort anwendbar.

  1. Bewilligungsfreiheit der Kleinstbauten

    Unverändert bleibt, dass Kleinstbauten – wie bis anhin – grundsätzlich bewilligungsfrei erstellt werden dürfen. Das ist nicht selbstverständlich: Von Bundesrechts wegen dürfen Bauten und Anlagen nur mit behördlicher Bewilligung errichtet oder geändert werden (Art. 22 RPG). Sie unterstehen der Bewilligungspflicht, weil sie die Nutzungsordnung zu beeinflussen vermögen, da sie entweder den Raum äusserlich erheblich verändern, die Erschliessung belasten oder die Umwelt beeinträchtigen. Es kann jedoch nicht Sinn der Baubewilligungspflicht sein, jedes noch so kleine und geringfügige bauliche Vorhaben von einer Baubewilligung abhängig zu machen. Der Bundesgesetzgeber hat es deshalb den Kantonen erlaubt, die Baubewilligungspflicht im Rahmen des Bundesrechts zu konkretisieren. Das bedeutet, dass die Kantone Bauten und Anlagen von der Baubewilligungspflicht befreien dürfen, falls diese Bauten und Anlagen keinen erheblichen Einfluss auf die Nutzungsordnung haben und darum weder die Öffentlichkeit noch die Nachbarschaft ein Interesse an einer vorgängigen Kontrolle des Bauvorhabens, also an einem Baubewilligungsverfahren, haben (vgl. zum Ganzen: BGE 119 lb 226 f., BGE 113 lb 315 f. E. 2b; vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_47/2008 vom 8. August 2008 E. 2.5.1 mit weiteren Hinweisen; EJPD/BRP, Erläuterungen zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Bern 1981, S. 271 ff.; Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971, 2. Auflage, Aarau 1985, N 2 zu § 150 BauG).
  2. Notwendigkeit der Revision

    Das BVU hat § 49 Abs. 2 lit. d BauV durch die Revision wie folgt geändert: Kleinstbauten sind dann bewilligungspflichtig, wenn sie Immissionen hervorrufen, die mehr als «minim» sind. 
    Wie Voser Rechtsanwälte bereits im LEXPRESS Baurecht Nr. 2 (11/2012) (siehe www.voser.ch) dargelegt hat, unterstehen Kleinstbauten von Bundesrechts wegen der Baubewilligungspflicht, wenn sie Immissionen verursachen, beispielsweise Lärm oder Geruch, die für die Öffentlichkeit oder die Nachbarschaft bedeutend sind. Für solche Kleinstbauten ist somit ohnehin ein Baubewilligungsverfahren durchzuführen. Die Revision von § 49 Abs. 2 lit. d BauV war somit (streng betrachtet) überflüssig.
  3. «Minime» Emissionen

    In der Praxis wird sich die Frage stellen, was «minim» bedeutet. Nach dem Erläuternden Bericht sind «minime» Immissionen solche umweltrechtlicher Bagatellfälle, für die das Vorsorgeprinzip des Umweltschutzgesetzes nicht gelten soll. Gibt es Fälle, auf welche das umweltrechtliche Vorsorgeprinzip keine Anwendung findet? Kaum, wobei die Praxis des Bundesgerichts nicht einheitlich ist. In BGE 133 II 169 E. 3.2 S. 175 f. = URP 2007 818 und im Urteil 1C_311/2007 vom 21. Juli 2008 = URP 2008 599 hat das Bundesgericht dargelegt, dass das Vorsorgeprinzip des Umweltschutzgesetzes auch in sogenannten Bagatellfällen zur Anwendung kommt soll (vgl. Christoph Jäger, Das schweizerische Umweltschutzgesetz Rechtsprechung von 2006 – 2010, URP 2012 S. 409, S. 416 ff.). Verwirrung stiftet allerdings ein später ergangener Entscheid, in dem das Bundesgericht von einer Bagatellschwelle ausgeht (Urteil des Bundesgerichts 1C_216/2010 vom 28. September 2010 E. 5 = URP 2010 698). Im Urteil des Bundesgerichts 1C_250/2013 vom 12. Dezember 2013 (nicht 1C_250/2010, wie im Erläuternden Bericht zitiert), auf den sich auch das BVU im Erläuternden Bericht beruft, beurteilt das Bundesgericht die Kritik von Christoph Jäger und im Kommentar zum Umweltschutzgesetz (2. Aufl., N. 14 zu Art. 11 USG S. 191) als bedenkenswert. Wir interpretieren diesen Entscheid des Bundesgerichts als endgültige Absage an die Theorie, wonach bei Bagatellfällen das Vorsorgeprinzip nicht anwendbar sei. Das BVU zieht somit im Erläuternden Bericht einen falschen Schluss: Das Vorsorgeprinzip kommt auch dann zur Anwendung, wenn ein umweltrechtlicher Bagatellfall vorliegt.
    Nach der Auffassung des BVU sind minime Auswirkungen die Auswirkungen umweltrechtlicher Bagatellfälle. Umweltrechtliche Bagatellfälle sind offensichtlich solche, welche keine oder kaum wahrnehmbare Auswirkungen auf die Umwelt haben. Gehen von einer Kleinstbaute nur Emissionen aus, welche bloss in einem kleinen Umkreis wahrnehmbar sind oder im allgemeinen Umgebungslärm untergehen, handelt es sich um einen Bagatellfall. Damit dürften in der Regel im Freien stehende Wärmepumpen, Feuerstellen aller Art, Kinderspielgeräte und ähnliches bewilligungspflichtig sein, da sie in einer weiteren Umgebung Immissionen verursachen. Mit anderen Worten: Nur in der näheren Umgebung einer Kleinstbaute nicht oder kaum wahrnehmbare Immissionen sind «minim» im Sinne von § 49 Abs. 2 lit. d BauV.
    Das Vorhandensein nur minimer Emissionen (in § 49 Abs. 2 lit. d BauV wird fälschlicherweise der Ausdruck Immissionen verwendet) befreit die Baubewilligungsbehörde – wie hier oben dargelegt – nicht von der Prüfung, ob nach dem Vorsorgeprinzip Massnahmen zur Verminderung der Emissionen zu ergreifen sind. Die Behörde hat dies von Amtes wegen zu prüfen. Insbesondere braucht es hierfür keines Anstosses seitens der Nachbarn: Da die Emissionen minim sind und daher in einer weiteren Umgebung keine oder kaum wahrnehmbare Immissionen auftreten, wären (allfällige) Nachbarn nicht berechtigt, gegen die Kleinstbaute Einwendungen zu erheben, da sie vom Bauvorhaben nicht betroffen sind (siehe auch Urteil des Bundesgerichts 1C_250/2013 vom 12. Dezember 2013).

§ 49a BauV: Solaranlagen

Mit der Revision der Bauverordnung wurde ein neuer § 49a eingefügt. Die Bestimmung ist aus dem Anhang 2 ersichtlich. Die Verordnungsänderung ist am 1. Januar 2015 in Kraft getreten und sofort, auch auf bereits hängige Baugesuche anwendbar. Der Erläuternde Bericht des BVU vom 29. Oktober 2014 fasst die wichtigsten Grundlagen sehr gut zusammen. Es kann deshalb auf diesen Erläuternden Bericht verwiesen werden.
Ergänzende Bemerkungen möchten wir nur zur Meldepflicht gemäss § 49a Abs. 3 und Abs. 4 BauV anbringen.

  1. Systemwechsel

    Mit dem Meldeverfahren ist ein Systemwechsel verbunden: Generell ist es an einer Bauherrschaft zu ermitteln, ob ein Bauvorhaben bewilligungspflichtig ist. Entsprechend liegt es in ihrer Verantwortung, für baubewilligungspflichtige Vorhaben ein Baugesuch einzureichen. Tut sie das nicht, wird es – gegebenenfalls – ein nachträgliches Baubewilligungsverfahren geben und es besteht die Gefahr des Rückbaus und einer Strafe. Bei den Solaranlagen ist es nun anders: Wer auf dem Dach eine Solaranlage errichten will, muss eine Meldung erstatten, unabhängig davon, ob die Anlage baubewilligungspflichtig ist oder nicht. Es ist dann an der Gemeinde, diese Frage zu prüfen. Erhebt sie nicht innert 30 Tagen nach Eingang der Meldung Einwände, darf die Anlage ausgeführt werden(§ 49a Abs. 4 BauV).
    § 49a Abs. 4 BauV bestimmt, dass nach unbenutztem Ablauf der 30-tägigen Frist «baubewilligungsfreie» Solaranlagen ausgeführt werden dürfen. Damit scheint das BVU im Umkehrschluss davon auszugehen, dass eine eigentlich baubewilligungspflichtige (gemeldete) Anlage, für welche die Bauherrschaft kein Baugesuch eingereicht hat, ohne rechtzeitige Einwände der Gemeinde nicht ausgeführt werden darf. Unseres Erachtens wäre auch eine andere Lösung vertretbar, nämlich dass die Bauherrschaft ohne rechtzeitige Einwände der Gemeinde berechtigt ist, die gemeldete Solaranlage ohne Baubewilligung zu erstellen, auch wenn sie materiell eigentlich baubewilligungspflichtig wäre.
    In beiden Fällen besteht die Gefahr, dass ein beschwerdeberechtigter Nachbar die Einleitung eines nachträglichen Baubewilligungsverfahrens verlangt (z. B. mit der Behauptung, die Anlage sei nicht reflexionsarm ausgeführt worden).
  2. Gebührenpflicht?

    Unseres Erachtens ist es nicht gerechtfertigt, beim Meldeverfahren nach § 49a Abs. 3 und Abs. 4 BauV eine Gebühr zu erheben. Das Bundesrecht lässt nur ein Meldeverfahren, ausdrücklich kein Bewilligungsverfahren zu. Das Meldeverfahren belastet nur die Bauherrschaft. Der Kontrollaufwand, welche bei der aargauischen Ausgestaltung entsteht, dürfe nach dieser Auffassung – von Bundesrechts wegen – der Bauherrschaft nicht angelastet werden. Es ist demnach zweifelhaft, ob die Gemeinden für dieses Meldeverfahren Gebühren erheben dürfen, selbst wenn sie im kommunalen Gebührenreglement eine Rechtsgrundlage hätten.

§ 50 BauV: Vereinfachtes Baubewilligungsverfahren

Mit Inkrafttreten von § 49a BauV wurde § 50 Abs. 1 lit. c BauV über das vereinfachte Verfahren für Solaranlagen aufgehoben. Auf Baugesuche, welche erst nach dem 1. Januar 2015 beurteilt werden, darf § 50 Abs. 1 lit. c BauV folglich nicht angewendet werden.
Diese Aufhebung von § 50 Abs. 1 lit. c BauV beruht unser Erachtens auf einer Fehlüberlegung: Das Meldeverfahren gilt nur für diejenigen Solaranlagen, welche die rechtlichen Bedingungen einhalten, sich auf Dächern befinden und in bestimmten Zonen liegen. Alle andern Solaranlagen bleiben bewilligungspflichtig. Deshalb hätte § 50 Abs. 1 lit. c BauV weiterhin einen eigenen Anwendungsbereich gehabt. Angesichts der liberaleren Grundlagen im Bundesrecht hätte der Anwendungsbereich des vereinfachten Verfahrens sogar noch ausgedehnt werden können. Nun ist bei jeder baubewilligungspflichtigen Solaranlage zu prüfen, ob das ordentliche Verfahren (§ 60 BauG) oder das vereinfachte Verfahren (§ 61 BauG) durchzuführen ist.

Schlussbemerkung

Die Teiländerung der Bauverordnung bringt einige interessante Änderungen mit sich. Nun sind wir gespannt, wie sich die neuen Bestimmungen in der Praxis bewähren werden. Selbstverständlich sind wir auch bei diesen Themen immer dankbar für Hinweise oder Rückmeldungen. Teilen Sie uns Ihre Erfahrungen mit; sie sind für uns sehr wertvoll. Zu gegebener Zeit werden wir Sie über die Praxiserfahrungen der teilrevidierten Bauverordnung wieder informieren.
 
VOSER RECHTSANWÄLTE
Dr. Peter Heer

Christian Munz

Michael Fretz

Die Autorinnen und Autoren dieses Beitrags:

Dr. Peter
Heer
Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Bau- und Immobilienrecht
+41 56 203 10 39
p.heer@voser.ch
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