LEXPRESS Die Revision der SIA-Norm 118

Die Norm 118 des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverbandes SIA ist ein Herzstück des helvetischen Bauschaffens. Ohne die Norm «Allgemeine Bedingungen für Bauarbeiten» läuft praktisch keine grössere Baustelle in der Schweiz. Die meisten wichtigen Werkverträge enthalten explizit die SIA-Norm 118 als Vertragsbestandteil – und dies, obwohl es sich um eine private Norm eines Verbandes handelt. Diese zentrale Norm der schweizerischen Baupraxis wurde per Anfang 2013 revidiert. Zwar ist die Revision nur punktuell erfolgt. Dennoch sind einige Änderungen bemerkenswert. Sie sollen nachfolgend kurz erläutert werden.

1. Einleitung

Die SIA-Norm 118 «Allgemeine Bedingungen für Bauarbeiten» stammt aus dem Jahr 1977. Seither wurden lediglich kleine Änderungen vorgenommen: In den Jahren 1991 und 1995 wurden Nebenpunkte der Norm abgeändert. Im Übrigen blieb die Norm über 30 Jahre lang unangetastet.

Am 10. November 2012 haben die Delegierten des SIA nach jahrelangen Vorbereitungsarbeiten die revidierte SIA-Norm 118 verabschiedet. Die neuen Regelungen sind per 1. Januar 2013 in Kraft getreten.

Es handelt sich nicht um eine Totalrevision. Ziel des SIA war vielmehr eine «sanfte Renovation unter Beibehaltung der bewährten Struktur und Substanz der Norm» (vgl. Artikel «Die Revision der Norm SIA 118» in der SIA-Zeitschrift TEC21, Ausgabe 5-6/2013, S. 28). Die sanfte Renovation zeigt sich bereits äusserlich, indem die revidierte SIA-Norm 118 (2013) die Artikelnummerierung der ersten Norm von 1977 beibehält.

2. Die wichtigsten Änderungen der SIA-Norm 118, Version 2013

Begrifflichkeiten:

Bislang sprach die SIA-Norm 118 von «Garantiefrist». Dieser Begriff wurde nun durch den Begriff «Rügefrist» ersetzt. Damit wurde der Kritik Rechnung getragen, dass die Garantiefrist mit der Verjährungsfrist verwechselt werden kann. Inhaltlich ändert sich durch diese neue Begrifflichkeit nichts: Die Rügefrist für Mängel beträgt gemäss Art. 172 der Norm zwei Jahre.

Ebenfalls geändert wurde der Begriff der «Vertragspartner», und zwar in «Vertragsparteien». Damit soll klarer ersichtlich sein, dass es sich bei einem Werkvertrag um einen zweiseitigen Vertrag handelt, in welchem die gegenläufigen Interessen des Bestellers und des Unternehmers geregelt werden.

Solidarbürgschaft:

Der Unternehmer leistet gemäss Art. 181 der Norm eine Solidarbürgschaft für allfällige Mängel, die während der Rügefrist gerügt werden. Die Dauer der Solidarbürgschaft war bislang nicht im Text der Norm selber, sondern lediglich in einer Fussnote festgelegt. Dies führte zu Unklarheiten: Die Lehre war sich nicht einig, ob die Solidarbürgschaft nur während der Dauer der Rügefrist (zwei Jahre) läuft oder ob sie bis zum Ablauf der Verjährungsfrist (fünf Jahre) gilt. Neu regelt Art. 181 Abs. 3 der Norm explizit: «Die Solidarbürgschaft (Art. 496 OR) ist für die Dauer der Rügefrist (Art. 172) zu leisten. Sind vor Ablauf der Rügefrist gerügte Mängel noch nicht behoben, ist die Solidarbürgschaft für die Dauer bis zur vollständigen Behebung dieser Mängel zu verlängern. Vorbehalten bleibt der Eintritt der Verjährung.» Damit gilt die Solidarbürgschaft während mindestens zwei Jahren (Rügefrist), ist jedoch durch den Unternehmer zu verlängern, sofern beim Ende der Rügefrist noch Mängel offen sind.

Mehrwertsteuer:

Bislang wurde in der SIA-Norm 118 nicht klar geregelt, ob die Mehrwertsteuer in vereinbarten Honoraren inbegriffen ist. Nun stellen Art. 38 Abs. 5 (Einheits-, Global- und Pauschalpreise) und Art. 49 Abs. 4 (Regiearbeiten) klar: Bei einer Preisangabe des Unternehmers ohne explizite Erwähnung der Mehrwertsteuer gilt, dass die Mehrwertsteuer nicht eingerechnet ist. Dies entspricht der bisherigen Usanz im Baugewerbe.

Qualitätsmanagement:

Die bisherige SIA-Norm 118 machte – nebst dem ordentlichen Gewährleistungsrecht – keine Aussagen zur Qualität von Bauarbeiten. Künftig soll aber die Qualität der Bauarbeiten nicht erst nach Abnahme des Bauwerks (mittels Mängelrechten) beeinflusst werden können, sondern schon vorher: Neu muss die Bauherrschaft bereits in der Ausschreibung Aussagen zu den Anforderungen machen, welche von den Unternehmern bezüglich Qualität und Qualitätsmanagement verlangt werden (Art. 7 Abs. 2 Ziff. 2 der SIA-Norm 118). Der Bauherr muss seine Anforderungen zur geplanten Organisation und zu den Arbeitsabläufen bekannt geben. Die Unternehmer müssen sich ihrerseits bereits in ihrer Offerte äussern, wie sie die Qualität der Arbeit sicherstellen wollen. Damit soll die Qualität der Bauarbeiten bereits während der Bauausführung sichergestellt werden (vgl. die Aussagen von Rechtsanwalt Dr. Roland Hürlimann, juristischer Berater der Revisionskommission, in tec21 5/6, S. 18 ff., abrufbar unter http://www.nextroom.at/article.php?id=37054).

Bereits bislang musste der Bauherr die Beschaffenheit des Baugrunds dem Unternehmer in den Ausschreibungsunterlagen mitteilen. Neu sieht Art. 5 Abs. 2 vor, dass auch der Zustand der bisherigen Bausubstanz vom Bauherrn ermittelt und dem Unternehmer mitgeteilt werden muss.

Schliesslich stellt der neue Art. 139 Abs. 4 klar, dass Prüfungen und Belastungsproben am Bauwerk nicht als Abnahme des Bauwerks gelten, sofern der Werkvertrag nichts anderes vorsieht. Diese Norm beugt Unklarheiten über den Zeitpunkt der Werksabnahme vor. Prüfungen und Belastungsproben lösen also noch keine Rügefrist für Baumängel aus.

Teuerungsabrechnung:

In der alten Fassung der SIA-Norm 118 war als Leitverfahren bei Preisänderungen noch das Mengennachweisverfahren detailliert geregelt. Heute werden im Baugewerbe jedoch hauptsächlich Indexverfahren zur Teuerungsabrechnung gewählt. Das Mengennachweisverfahren ist praktisch bedeutungslos geworden. Die Regelungen in den bisherigen Art. 69 bis 82 zum Mengennachweisverfahren wurden daher ersatzlos gestrichen.

Gemäss Art. 65 Abs. 1 sollte das Teuerungsabrechnungsverfahren im Werkvertrag explizit vereinbart werden. Wenn kein Verfahren für die Teuerungsabrechnung vereinbart ist, kommen gemäss Art. 65 Abs. 2 primär indexbasierte Verfahren zur Anwendung.

Schliesslich sind Mindest- und Höchstbeträge des Rückbehalts und der Solidarbürgschaft an die Teuerung seit 1977 angepasst worden:

Der Rückbehalt des Bauherrn für allfällige Mängel betrug bislang 10 % des Leistungswerts, ab einem Leistungswert von CHF 300‘000.00 jedoch nur 5 %. Neu liegt diese Schwelle bei CHF 500‘000.00 (Art. 150 Abs. 1). Der Maximalbetrag des Rückbehalts beträgt neu CHF 2 Mio. statt wie bisher CHF 1 Mio. (Art. 150 Abs. 3).

Auch der Haftungsbetrag des Bürgen bei einer Solidarbürgschaft betrug bislang 10 % der Vergütungssumme an den Unternehmer bis CHF 200‘000.00, darüber 5 % der Vergütungssumme. Dieser Schwellenwert wurde neu bei CHF 300‘000.00 angesetzt. Sodann wurde auch die Maximalsumme der Bürgschaft von CHF 1 Mio. auf CHF 2 Mio. angehoben (Art. 181 Abs. 2).

Eventualpositionen:

Gemäss Art. 102 der alten Fassung der SIA-Norm 118 durften Eventualpositionen im Leistungsverzeichnis nur mit «Zustimmung der Bauleitung» ausgeführt werden. Dies führte in der Praxis zu Unklarheiten, konnte hiermit doch eine Zustimmung auch stillschweigend angenommen werden. Neu braucht es eine explizite «Weisung der Bauleitung» zur Ausführung von Eventualpositionen (Art. 102). Im weiteren müssen Eventualpositionen, die bei der Ermittlung einer Angebotssumme zu berücksichtigen sind, bei der Ausschreibung vom Bauherrn im Leistungsverzeichnis speziell bezeichnet werden (Art. 8 Abs. 4 ).

3. Vereinbaren der neuen Norm

Wie für alle SIA-Normen gilt auch für die SIA-Norm 118 (2013): Ihre Anwendung auf ein konkretes Vertragsverhältnis muss von den Parteien explizit vereinbart werden. Wird sie nicht ausdrücklich für anwendbar erklärt, kommen nicht die Bestimmungen der SIA-Norm 118 (2013), sondern diejenigen des OR zur Anwendung.

Eine Vereinbarung der Anwendung der SIA-Norm 118 (2013) kann mündlich oder schriftlich erfolgen; sie kann ausdrücklich oder konkludent, d.h. aus dem Verhalten heraus geschehen. Aus Beweisgründen ist es jedoch empfehlenswert, die Anwendung der SIA-Norm 118 (2013) schriftlich festzulegen. Am besten wird diese Vereinbarung direkt in den Werkvertrag integriert. Aber auch der Verweis auf die SIA-Norm 118 (2013) in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist gültig, sofern diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen ihrerseits im Werkvertrag als anwendbar vereinbart werden.

Wichtig ist, dass der Jahrgang 2013 explizit angegeben wird. Nur dann ist sichergestellt, dass für alle Parteien die Anwendung der SIA-Norm 118 (2013) unbestritten ist. Zwar weist die SIA-Norm 118 (2013) in einem Passus «Genehmigung und Gültigkeit» auf S. 72 selber darauf hin, dass sie die SIA-Norm 118 (1977/91) ersetzt. Eine klare Benennung der gewünschten Fassung vermeidet bereits im Ansatz Meinungsverschiedenheiten darüber, welche Fassung der SIA-Norm 118 nun gilt.

Viele Unternehmen im Baugewerbe, aber auch Bauherren haben Allgemeine Geschäftsbedingungen, in denen sie die SIA-Norm 118 zwar für anwendbar erklären, aber punktuell abändern. Bei solchen Abänderungen empfehlen wir, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Überprüfung zu unterziehen. Unter Umständen müssen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufgrund der Änderungen in der SIA-Norm 118 angepasst werden. Im Zweifelsfalle sollte rechtlicher Rat beigezogen werden, damit die korrekte Anwendung der SIA-Norm 118 gewährleistet ist.

Bild Baustelle

4. Fazit

Die Änderungen der SIA-Norm 118 (2013) sind eher geringfügig. Dennoch ist es lohnenswert, sich mit den einzelnen Änderungen auseinanderzusetzen. Ebenfalls sollte sich jeder Bauherr oder Unternehmer fragen, ob er die neue SIA-Norm in seine Verträge aufnehmen will. Falls er das möchte, ist der Bauherr bzw. Unternehmer gut beraten, im Vertragswerk explizit auf die SIA-Norm 118 (2013) zu verweisen.

Die neue Norm wird das Bauen in der Schweiz nicht auf den Kopf stellen. Und die Praxistauglichkeit von gewissen Änderungen – etwa der Einführung eines Qualitätsmanagements bereits vor und während der Bauausführung – muss sich erst noch weisen. Dennoch empfehlen wir die Anwendung der SIA-Norm 118 (2013). Sie ist – trotz geringfügigen Änderungen – besser als die alten Bestimmungen. Sie entspricht den heutigen wirtschaftlichen Gegebenheiten besser.

VOSER RECHTSANWÄLTE

lic. iur. Lukas Breunig

Dr. Peter Heer

Die Autorinnen und Autoren dieses Beitrags:

Dr. Peter
Heer
Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Bau- und Immobilienrecht
+41 56 203 10 39
p.heer@voser.ch
Dr. Lukas
Breunig-Hollinger
Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Bau- und Immobilienrecht
+41 56 203 15 43
l.breunig@voser.ch
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