LEXPRESS Untergeschosse nach IVHB

Einführung

Was ist ein Untergeschoss nach IVHB? Ist ein Keller per Definition ein Untergeschoss? Wie wird das im Kanton Aargau berechnet? Sind Abgrabungen zulässig? Zählt ein Lichtschacht als Abgrabung? Solche Fragen stellen sich häufig in unserer Praxis. Gerne beleuchten wir in diesem LEXpress die Rechtslage.

1. Geltung der IVHB

Der Kanton Aargau ist der Interkantonalen Vereinbarung über die Harmonisierung der Baubegriffe (IVHB) beigetreten. Die Gemeinden müssen die IVHB bis spätestens 1. September 2021 in ihre Bau- und Nutzungsordnungen übernommen haben (§ 64 Abs. 1 BauV). Die Begriffe und Messweisen nach IVHB gelten nur in denjenigen Gemeinden, welche ihre Nutzungsordnung bereits an die IVHB angepasst haben.

2. Begriff des Untergeschosses nach aargauischem Recht (Ziff. 6.2 IVHB i.V.m. § 23 Abs. 1 BauV)

Untergeschosse dürfen nur teilweise aus dem massgebenden Terrain ragen.

Es sind Geschosse, bei denen die Oberkante des fertigen Bodens, gemessen in der Fassadenflucht, im Mittel höchstens bis zum zulässigen Mass über die Fassadenlinie hinausragt (Ziff. 6.2 Anhang 1 IVHB). Das zulässige Mass wird vom kantonalen Recht bestimmt. Der Kanton Aargau definierte das zulässige Mass wie folgt: «Untergeschoss dürfen im Mittel nicht mehr als 80 cm über die Fassadenlinie hinausragen» (§ 23 Abs. 1 BauV).

Die Berechnung des zulässigen Masses hängt von mehreren Parametern ab, insbesondere von der «Oberkante des fertigen Bodens», von der «Fassadenlinie» und v on der Berechnungsweise des «Mittels»:

  • «Oberkante des fertigen Bodens»: Das ist begrifflich unklar: Gemeint ist die Oberkante des fertigen Bodens des über dem zu beurteilenden Geschosses liegenden Vollgeschosses in der Fassadenflucht. Mit «fertigem Boden» ist die fertige Konstruktion des Bodens unter Einschluss des Bodenbelags gemeint.(1)
  • «Fassadenlinie»: Die Fassadenlinie ist die Schnittlinie von Fassadenflucht und massgebendem Terrain (Ziff. 3.2 IVHB). Das massgebende Terrain ist in der Regel der natürlich gewachsene Geländeverlauf (Ziff. 1.1 IVHB), entspricht also nicht in jedem Fall dem bei Einreichung des Baugesuchs bestehenden Terrain.
  • Berechnungsweise des «Mittels»: Es ist nicht klar, ob die «Fassadenflächen», die oberhalb des «fertigen Bodens», aber unterhalb des natürlich gewachsenen Geländeverlaufs liegen (siehe blaue Fläche in der Abbildung des DBVU hiernach), zu berücksichtigen, also in die Berechnung des «Mittels» einzubeziehen sind (bzw. abzuziehen sind, kompensiert werden dürfen).
  • Das DBVU hat Klarheit geschaffen im BNR Mitte 2019 und definiert, dass solche Flächen nicht einzubeziehen sind.(2)Auch diesbezüglich gilt die Oberkante des fertigen Bodens als massgebende Trennlinie. Die im Beispiel des DBVU blau eingefärbte Fläche ist somit ohne Relevanz für die Berechnung, ob ein Untergeschoss vorliegt.

Grund für diese Lösung ist hauptsächlich das Erscheinungsbild des Gebäudes: Werden die «bergseitigen» «Fassadenflächen» oberhalb der Oberkante des fertigen Bodens, aber unterhalb des natürlich gewachsenen Geländeverlaufs talseits kompensiert, könnte das talseitig zu weitgehend freigelegten Untergeschossen führen, womit das Ortsbild beeinträchtigt werden könnte.

Zusammenfassend ergibt das folgende Berechnungsweise: Die Flächenanteile des zu beurteilenden Geschosses, die oberhalb der Fassadenlinie, aber unterhalb der Oberkante des «fertigen Bodens» liegen, werden addiert. Diese Fläche wird dividiert durch den Gebäudeumfang (Gesamtlänge der projizierten Fassadenlinie; Ziff. 3.3 Anhang 1 zur IVHB). Das Resultat darf nicht grösser als 0.80 m sein.

Ein Geschoss, welches das massgebende Terrain nach dieser Berechnung im Mittel um höchstens um 0.80 m überragt, gilt als Untergeschoss (§ 23 Abs. 1 BauV). E contrario gelten Geschosse, welche das massgebende Terrain mehr überragen, als Vollgeschosse (§ 23 Abs. 1 BauV e contrario).

Bei zusammengebauten Gebäuden und bei Gebäuden, die in der Höhe oder in der Situation gestaffelt sind, wird die Vollgeschosszahl für jeden Gebäudeteil bzw. für jedes Gebäude separat ermittelt (Ziff. 6.1 Anhang 1 IVHB). Das gilt unseres Erachtens auch bei vergleichbaren Gebäuden (Stichwort: split level), denn die innere Organisation eines Gebäudes hat keinen Einfluss auf sein Erscheinungsbild.

3. Abgrabungen (§ 23 Abs. 2 BauV)

Die IVHB enthält keine Regelungen über Abgrabungen. Sie definiert einzig das massgebende Terrain (Ziff. 1.1 IVHB(3)). Es ist den Kantonen aber erlaubt, Abgrabungen und andere Terrainveränderungen zu regeln. Der Kanton Aargau regelt die Abgrabungen unter dem Titel «Untergeschosse» wie folgt: «Soweit die Gemeinde nichts anderes festlegt, dürfen Untergeschosse auf höchstens einem Drittel der Fassadenlänge abgegraben werden» (§ 23 Abs. 2 BauV).

Der Begriff der Abgrabung selber ist nicht geregelt. Einzig klar ist, dass eine Abgrabung das Drittelsmass direkt an der Fassade nicht überschreiten darf. Zweifelsfrei als Abgrabung gilt, wenn das Untergeschoss für Fenster, Türen, Garageneinfahrten, Werkstattzugänge etc. freigelegt wird. Zweck von § 23 Abs. 2 BauV ist wohl, das Erscheinungsbild der Baute und – eventuell – die Nutzung von Flächen in den Untergeschossen zu steuern.

Offen aber ist, ob es sich bei einem Lichtschacht oder einer Kellertreppe auch um eine Abgrabung im Sinn von § 23 Abs. 2 BauV handelt, obwohl sie aus einiger Distanz gesehen das Erscheinungsbild des Gebäudes kaum verändern. Wo ist die Grenze? Wie sind zwei Lichtschächte nebeneinander oder ein ganzes Band von Lichtschächten zu behandeln? Oder welche Distanz muss eine Abgrabung ab der Fassade einhalten, damit die Drittelsregel nicht mehr zur Anwendung gelangt? Reicht dazu ein schmales Geländeband entlang der Fassade? Haben die Materialisierung und die Neigung der Abstützung (senkrechte Stützmauer oder flache Böschung als Extrembeispiele) einen Einfluss? Wo beginnt der Rechtsmissbrauch? Wir gehen davon aus, dass der optische Eindruck entscheidend ist: Je stärker erkennbar die Fassade freigelegt wird, desto eher ist von einer Abgrabung auszugehen.

Nicht geregelt ist, wie tief eine Abgrabung sein darf. Die aargauische Regelung geht stillschweigend vom Bestehen eines einzigen Untergeschosses aus. Indes gibt es Gebäude mit mehreren Untergeschossen: Wird die Abgrabung über mehrere Untergeschosse erstellt, prägt diese das Bild des Gebäudes stark. Falls derartige Abgrabungen ausgeschlossen werden sollen, braucht es eine klare gesetzliche Regelung. Solange es keine Regelung gibt, darf sich eine Abgrabung auch über mehrere Untergeschosse hinwegziehen.

Es wird teils die Auffassung vertreten, die Drittelsregelung beziehe sich auf den ganzen Gebäudeumfang, also die Summe der Fassadenlinien über die ganze Gebäudeabwicklung. In Hanglagen würde das dazu führen, dass talseits über die ganze Fassadenlänge (Fassadenlinie der talseitigen Fassade) abgegraben werden dürfte. Das würde zu ortsbaulich sehr unbefriedigenden Lösungen führen. Zudem bezieht sich die Drittelsregelung auf die «Fassadenlänge» und nicht auf den «Gebäudeumfang» oder die «Gebäudeabwicklung».(4) Die -Auslegung zeigt, dass sich die Drittelsregelung auf die einzelne Fassade bezieht.

Aus der Regelung in § 23 BauV über die «Untergeschosse» muss geschlossen werden, dass ein Untergeschoss, das über mehr als einen Drittel der Fassadenlänge abgegraben ist, als Vollgeschoss gilt. Eine ausdrückliche Regelung hierzu gibt es jedoch nicht.

4. Untergeschosse, die über die Fassadenflucht (des oberirdischen, sichtbaren Gebäudes) hinausragen

Untergeschosse dürfen nur bis zum zulässigen Mass für vorspringende Gebäudeteile, also 1.50 m (§ 21 BauV), über die Fassadenlinie hinausragen(5). Ragen sie weiter darüber hinaus, gelten diese Bauteile als Unterniveaubaute oder unterirdische Baute, sofern die entsprechenden Anforderungen erfüllt sind (Figur 6.2 Anhang 2 IVHB). Sind die Anforderungen an Unterniveaubauten oder unterirdischer Bauten nicht erfüllt, gelten diese Bauteile als selbständige (oberirdische) Bauten. Das gilt auch dann, wenn das Untergeschoss durchgehend erstellt ist, also nicht durch Wände abgetrennt ist, wie das in der Figur zu Ziff. 6.2 IVHB dargestellt ist.

Somit gelten Teile des Untergeschosses, die (horizontal) um mehr als 1.50 m (siehe Figur 6.2 im Anhang 2 IVHB: Mass a, zulässiges Mass für vorspringende Gebäudeteile) über die Fassadenflucht ragen, nicht mehr als Teil der Hauptbaute, sondern sind eigenständige Bauten. Als Unterniveaubauten oder unterirdische Bauten müssen sie einen Grenzabstand von 0.50 m einhalten (§ 20 Abs. 2 BauV). Für das Untergeschoss, welches nicht mehr als 1.50 m über die Fassadenflucht ragt, fehlt eine Abstandsregelung. Unseres Erachtens gilt auch für diesen Bauteil einen Grenzabstand von 0.50 m.(6)

5. Einzelfragen und Hinweise

Ein Untergeschoss ist (wie auch das Dach- und das Attikageschoss) kein Vollgeschoss. Diese Unterscheidung kann einen erheblichen Einfluss auf die baurechtliche Beurteilung haben: So werden in vielen Aargauer Gemeinden Untergeschosse nicht an die Ausnützungsziffer angerechnet.

Die Regelung über Untergeschosse ist von Bedeutung, wenn die Zahl der (Voll-)Geschosse begrenzt ist. Die Gemeinden sind nicht verpflichtet, in der BNO die Anzahl Vollgeschosse zu regeln. Sie können die Höhen alternativ oder ergänzend mittels Gesamthöhe und Fassadenhöhen regeln. Wie ein Gebäude im Innern bei fehlender maximaler Anzahl Vollgeschosse baulich organisiert ist, steht damit in der Freiheit der Bauherrschaft.

Sofern die Anzahl Vollgeschosse nicht vorgeschrieben ist, stellt sich die Frage, ob die Drittelsregelung von § 23 Abs. 2 BauV dennoch zur Anwendung kommt. Rechtlich ist das zu verneinen: Ziff. 6.2 IVHB und § 23 BauV regeln die Untergeschosse, nicht auch die Vollgeschosse (siehe dazu Ziff. 6.1 IVHB). Es liegt eine Regelungslücke vor. Das wohl hauptsächliche öffentliche Interesse der Drittelsregel, nämlich die Verhinderung der Freilegung von Geschossen aus Gründen der Erscheinung, also des Ortsbilds, verlangt – auch im Sinne einer kohärenten Rechtsordnung – eine entsprechende Regelung auch für Vollgeschosse, die abgegraben werden. Somit wäre bei fehlender Regelung der Geschossigkeit eine analoge Anwendung der Drittelsregel von § 23 Abs. 2 BauV in den meisten Fällen sachgerecht.

Was ist die Folge, wenn das effektiv bestehende Terrain auf mehr als einem Drittel der Fassadenlänge unter dem natürlich gewachsenen Geländeverlauf liegt? Dann besteht faktisch bereits vor Baugesuchseingabe eine Abgrabung. Es stellt sich die Frage, ob der Grundeigentümer die faktische Abgrabung bestehen lassen kann und das Geschoss gleichwohl als Untergeschoss bewilligt werden kann. Der Wortlaut von § 23 Abs. 2 BauV, der von einem aktiven Abgraben ausgeht, spricht für diese Auslegung. § 23 Abs. 2 BauV könnte aber auch so verstanden werden, dass das Ziel, ein nur teilweise sichtbares Untergeschoss, massgebend ist. Nach diesem Verständnis müsste der Grundeigentümer die Abgrabung, soweit sie nach § 23 Abs. 2 BauV unzulässig ist, rückgängig machen, also das massgebende Terrain auf mindestens zwei Drittel der Fassadenlänge wiederherstellen, damit das Untergeschoss bewilligt werden darf. Allerdings ist zweifelhalft, ob § 23 Abs. 2 BauV eine genügende gesetzliche Grundlage ist, um den Grundeigentümer zu einer solchen Aufschüttung zu verpflichten. Je nach Situation kann sich aufdrängen, das Problem durch die Festlegung eines abweichenden massgebenden Terrains im Sinne von Ziff. 1.1 IVHB zu lösen.

Klar scheint einzig, dass es dem Grundeigentümer nicht verwehrt werden darf, das bestehende Terrain (unter Beachtung des übrigen Baurechts) aufzuschütten, so dass es dem natürlich gewachsenen Geländeverlauf entspricht. Dann bietet die Anwendung von § 23 Abs. 2 BauV kein Problem: Mit einer Auffüllung bis zur Fassadenlinie kann aus einem (unzulässigen) Vollgeschoss ein zulässiges Untergeschoss gemacht werden.

VOSER RECHTSANWÄLTE

Dr. Peter Heer

Christian Munz

  1. RUEDI MUGGLI / LEO BIÉTRY, IVHB-Erläuterungen (Stand 3. September 2013), N 2 zu Ziff. 6.2
  2. Siehe BNR 3.1, Rz. 229-231. Anderer Meinung: irap Institut für Raumentwicklung, IVHB, Erläuterungen, Fragen, Interpretationen, Mai 2011, S. 33 und S. 34. Dass das DBVU diese Klarstellung vorgenommen hat, ist sehr erfreulich. Es ist zu hoffen, dass sich das Verständnis des DBVU bei allen Konkordatskantonen durchsetzt. Schade ist, dass das DBVU solche Klarstellungen nicht aktiv publik macht und sie nicht beispielsweise per Mail den Gemeinden, Bauverwaltungen, den Architekten und Anwälten und ihren Verbänden etc. bekannt gibt.
  3. Ziff. 1.1 IVHB lautet wie folgt: «Als massgebendes Terrain gilt der natürlich gewachsene Geländeverlauf. Kann dieser infolge früherer Abgrabungen und Aufschüttungen nicht mehr festgestellt werden, ist vom natürlichen Geländeverlauf der Umgebung auszugehen. Aus planerischen oder erschliessungstechnischen Gründen kann das massgebende Terrain in einem Planungs- oder im Baubewilligungsverfahren abweichend festgelegt werden.» In den IVHB-Erläuterungen (Stand 3. September 2013) wird dargelegt, dass der natürlich gewachsene Geländeverlauf «dem seit lange bestehenden, weitgehend durch natürliche Prozesse entstandene Geländeverlauf» entspreche und nicht dem «auf menschliche Eingriffe wie frühere Abgrabungen und Aufschüttungen» zurückzuführenden gewachsenen Geländeverlauf (N 2 zu Ziff. 1.1).
  4. § 23 Abs. 2 BauV entspricht wörtlich § 15 Abs. 1 Satz 2 ABauV. Gemäss A-BauV war klar, dass pro Fassade höchstens 1/3 der Fassadenlänge abgegraben werden darf (siehe BNR, Rz. 585). Es muss davon ausgegangen werden, dass sich daran mit Inkrafttreten der BauV nichts geändert hat.
  5. Den Zusammenhang zwischen der Regelung über die Untergeschosse (Figur 6.2 Anhang 2 IVHB) und der Regelung über die vorspringenden Gebäudeteile (Ziff. 3.4 IVHB i.V.m. § 21 BauV) erschliesst sich uns nicht.
  6. Entscheid des Regierungsrats des Kantons Aargau Art. Nr. 2007-000603 vom 9. Mai 2007, E. 6.

Die Autorinnen und Autoren dieses Beitrags:

Dr. Peter
Heer
Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Bau- und Immobilienrecht
+41 56 203 10 39
p.heer@voser.ch
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