LEXPRESS Kleinstbauten: Begriff, Bewilligungspflicht und Grenzabstand

Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 23. August 2012 betreffend die Kleinstbauten

1. Einleitung

1 «Keiner Baubewilligung bedürfen, unter Vorbehalt abweichender Nutzungsvorschriften für bestimmte Schutzzonen, in den Bauzonen (…) d) Kleinstbauten mit einer Grundfläche bis 5m2 und einer Gesamthöhe bis 2,50m, wie z.B. Gerätehäuschen und Fahrradunterstände.» Auf den ersten Blick scheint § 49 Abs. 2 lit. d BauV, welcher hier zitiert wird, verständlich. Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass der Begriff der «Kleinstbaute» Fragen offenlässt. So gibt es durchaus Kleinstbauten im Sinne von § 49 Abs. 2 lit. d BauV, welche der Baubewilligungspflicht unterliegen. Sodann ist mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts nur vordergründig geklärt, ob Kleinstbauten einen Grenzabstand einhalten müssen. Mit dem vorliegenden Text möchten wir Baurechtler von VOSER RECHTSANWÄLTE einen Beitrag für eine sachgerechte Lösung leisten.

2. Zusammenfassung für den eiligen Leser

2 Die Bauverordnung (in Kraft seit 1. September 2011) führt den neuen Begriff der «Kleinstbauten» ein. Kleinstbauten werden von der Baubewilligungspflicht entbunden (§ 49 Abs. 2 lit. d BauV).

Kleinstbauten zeichnen sich durch kleine Dimensionen (Grundfläche bis 5m2 und Gesamthöhe bis 2,50m) aus. Zudem dürfen sie keine nennenswerten Einflüsse auf Raum, Erschliessung und Umwelt (Lärm, Gerüche etc.) haben, weshalb sie weder nachbarliche noch öffentliche Interessen wesentlich berühren. Kleinstbauten sind kleine Bauten (kleine Schöpfe, Garten- und Gewächshäuschen etc.) und kleine Anlagen (Briefkasten, Komposthaufen, Robidog, Kinderspielgeräte etc.).

Etwas überraschend muss gestützt auf ein neues Urteil des Aargauischen Verwaltungsgerichts festgestellt werden, dass Kleinstbauten einen Grenzabstand einhalten müssen (1). Anwendbar auf Kleinstbauten sei § 19 Abs. 2 BauV (resp. § 18 Abs. 2 [ABauV] Anhang 3 zur BauV) über die Klein- und Anbauten. Demnach müssten Kleinstbauten einen Grenzabstand von 2m einhalten, befand das Verwaltungsgericht. Dieser Grenzabstand dürfe nur mit schriftlicher Zustimmung des Nachbarn reduziert oder aufgehoben werden.

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts ist nicht unumstritten. Der Regierungsrat als Verordnungsgeber hatte bewusst auf eine Abstandsvorschrift für Kleinstbauten verzichtet. Das Departement Bau, Verkehr und Umwelt DBVU hatte (im nun vom Verwaltungsgericht aufgehobenen Entscheid) klar dargelegt, dass Kleinstbauten keinen Grenzabstand einhalten müssen. Müssen Kleinstbauten einen Grenzabstand von 2m beachten, führt das zu erheblichen Einschränkungen der Grundstücknutzungen und zu seltsamen Quartierbildern, denn: Im Kanton Aargau gibt es unzählige Kleinstbauten, welche sich innerhalb des Grenzabstands von 2m befinden und somit nicht (mehr) rechtmässig sind. Die Baubewilligungsbehörden und Bauverwaltungen stehen vor schwierigen Rechtsfragen. Eine rasche Abhilfe tut not.

3. Begriff der Kleinstbauten nach § 49 Abs. 2 lit. d BauV

3 Der Regierungsrat führt mit der Bauverordnung per 1. September 2011 einen neuen Begriff ein: die «Kleinstbaute». Die Bauverordnung umschreibt die Kleinstbauten, indem sie deren maximalen äusseren Masse angibt. Weitere Angaben zu den Kleinstbauten macht die Bauverordnung nicht.

4 Der neue Begriff der Kleinstbaute ist sehr offen und schafft Abgrenzungsprobleme. Er ist offensichtlich unbestimmt und dadurch auslegungsbedürftig.

5 Vorerst darf aus dem Begriff der Kleinst-«Baute» nicht abgeleitet werden, damit seien nur Bauten, nicht aber Anlagen gemeint (2). Kleinstbauten können Bauten oder Anlagen sein. Auch Kleinst-«Anlagen» sind demnach Kleinst-«Bauten» im Sinne von § 49 Abs. 2 lit. d BauV.

6 Kleinstbauten sind zudem nicht bloss sehr kleine Kleinbauten. Kleinbauten sind Gebäude (Anbauten sind Anbauten an Gebäuden; siehe Ziff. 2.2 und 2.3 des Anhangs 1 zur BauV). Gebäude sind ortsfeste Bauten, die zum Schutz von Menschen, Tieren und Sachen eine feste Überdachung und in der Regel weitere Abschlüsse haben (siehe Ziff. 2.1 des Anhangs 1 zur BauV). Der Begriff der Kleinstbaute hingegen geht weiter: Er erfasst nicht nur Gebäude, sondern auch andere Bauten und Anlagen. Soweit Klein- und Anbauten die Maximalmasse für Kleinstbauten einhalten (Grundfläche bis 5m2 und Gesamthöhe bis 2,50m), sind sie folglich auch Kleinstbauten.

7 Es gibt ferner keinen Hinweis darauf, dass nicht auch Tiefbauten Kleinstbauten sein können. Allerdings wird der Begriff der Tiefbaute im kantonalen Recht nicht mehr verwendet. Neu werden nur noch die Unterniveau- und unterirdischen Bauten sowie Parkierungs- und Verkehrsflächen geregelt (§ 20 BauV). Der Begriff der Tiefbauten geht aber weiter und umfasst auch Mauern, Lager- und Abstellplätze, Terrassen, Schwimmbassins, Gruben, Terrainveränderungen, Böschungen, Aufschüttungen, Untergrund-Container (Entsorgungsstellen), Kinderspielplätze, Schächte, Treppen, Gartenwege etc. Soweit solche Tiefbauten die Masse für Tiefbauten und die Maximalmasse für Kleinstbauten einhalten, sind sie nach unserer Auffassung folglich auch Kleinstbauten.

8 Neben den Kleinstbauten gemäss § 49 Abs. 2 lit. d BauV werden weitere Kleinstbauten auch an andern Orten in der Bauverordnung erwähnt (3). Das zeigt, dass der Begriff der Kleinstbaute ein Sammelbegriff, ein Auffangtatbestand ist. Der Begriff ist offensichtlich gleichzusetzen mit dem früher gelegentlich verwendeten Begriff der Bagatellbaute.

9 Ein erstes Zwischenfazit lautet deshalb: Unter den Begriff der Kleinstbauten fallen gemäss § 49 Abs. 2 lit. d BauV alle Bauten und Anlagen (inklusive Klein- und Anbauten sowie Tiefbauten) mit einer Grundfläche bis 5m2 und einer Gesamthöhe bis 2,50m.

4. Grundsatz: keine Baubewilligungspflicht für Kleinstbauten / Ausnahmen

10 Kleinstbauten innerhalb der Bauzonen sind gemäss ausdrücklicher Bestimmung in der Bauverordnung von der Baubewilligungspflicht befreit (§ 49 Abs. 2 BauV). Sie gehören zur gleichen Kategorie wie gewisse Einfriedigungen und Stützmauern (§ 49 Abs. 2 lit. a BauV), Erdsonden (§ 49 Abs. 2 lit. b BauV), Anlagen der Garten- und Aussenraumgestaltung wie Fusswege, Treppen, Brunnen, Feuerstellen und Gartencheminées, Pflanzentröge, künstlerische Plastiken sowie Teiche mit einer Fläche bis rund 10m2 (§ 49 Abs. 2 lit. c BauV).

11 Es ist nicht selbstverständlich, dass Bauten und Anlagen von der Baubewilligungspflicht befreit werden. Von Bundesrechts wegen dürfen Bauten und Anlagen nur mit behördlicher Bewilligung errichtet oder geändert werden (4). Sie unterstehen der Bewilligungspflicht, weil sie die Nutzungsordnung zu beeinflussen vermögen, da sie entweder den Raum äusserlich erheblich verändern, die Erschliessung belasten oder die Umwelt beeinträchtigen. Es kann jedoch nicht Sinn der Baubewilligungspflicht sein, jedes noch so kleine und geringfügige bauliche Vorhaben von einer Baubewilligung abhängig zu machen (Grundsatz der Verhältnismässigkeit). Der Bundesgesetzgeber hat es deshalb den Kantonen erlaubt, die Baubewilligungspflicht im Rahmen des Bundesrechts zu konkretisieren. Das bedeutet, dass die Kantone Bauten und Anlagen von der Baubewilligungspflicht befreien dürfen, falls diese Bauten und Anlagen keinen erheblichen Einfluss auf die Nutzungsordnung haben und darum weder die Öffentlichkeit noch die Nachbarschaft ein Interesse an einer vorgängigen Kontrolle des Bauvorhabens, also an einem Baubewilligungsverfahren haben (5).

12 Das Baugesetz trägt diesen Grundsätzen dadurch Rechnung, dass es neben dem ordentlichen Baubewilligungsverfahren (§ 59 BauG) das vereinfachte Verfahren vorsieht für «Bauvorhaben, die weder nachbarliche noch öffentliche Interessen berühren» (§ 61 BauG) (6). Darüber hinaus hat der Regierungsrat in der Bauverordnung Bauten und Anlagen aufgezählt, welche von der Baubewilligungspflicht ganz befreit sind (§ 49 BauV) (7).

13 Aus dieser Ordnung ergibt sich: Kleinstbauten unterstehen trotz ihrer geringen Dimensionen der Baubewilligungspflicht (ordentliches oder vereinfachtes Verfahren), wenn sie Immissionen verursachen, beispielsweise Lärm oder Geruch, die für die Öffentlichkeit oder die Nachbarschaft bedeutend sind. Für solche Kleinstbauten ist ein Baubewilligungsverfahren durchzuführen.

14 Zudem ist nach ausdrücklicher Regelung auch für Kleinstbauten ein Baubewilligungsverfahren durchzuführen, sofern eine Ausnahmebewilligung (§ 67 BauG) notwendig ist (§ 49 Abs. 4 BauV). So bedürfen nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Kleinstbauten, welche den Grenzabstand von 2m nicht einhalten, einer Ausnahmebewilligung. Dann ist ein Baubewilligungsverfahren durchzuführen.

15 Auf der Hand liegt, dass Bauten oder Anlagen, welche die Maximalmasse (Grundfläche bis 5m2 und Gesamthöhe bis 2,50m) überschreiten, keine Kleinstbauten im Sinne von § 49 Abs. 2 lit. d BauV darstellen. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass sie der Baubewilligungspflicht unterstehen. Vielmehr ist zu prüfen, ob sie separat in der Liste von § 49 BauV aufgeführt sind (z.B. Fusswege, künstlerische Plastiken mit einer Höhe von mehr als 2,50m).

16 Beispiele für Kleinstbauten (8), die nicht der Baubewilligungspflicht unterstehen:

  • Gerätehäuschen (§ 49 Abs. 2 lit. d BauV)
  • Fahrradunterstände (§ 49 Abs. 2 lit. d BauV)
  • Gebäudeinformationsstelen mit einer Höhe von 2,50m, einer Breite von 0,8m und einer Tiefe von 10 bis 15cm (VGE vom 23.08.2012 [WBE.1012.48])
  • Kleines Gartentreibhaus von 4m2 Grundfläche und 1,90m Firsthöhe (BDE vom 17.02.1995 i.S. B.)
  • Geräteschränke und Truhen (BDE vom 10.04.2007 i.S. f. und S. gegen Gemeinderat Sarmenstorf)
  • Pavillons, Pergolas, Lustlauben
  • Hütten, Buden, Baracken, feste Zelte
  • Kioske, Waren- und andere Automaten, Schaukasten
  • Briefkasten
  • Beleuchtungsstelen
  • Steinkörbe
  • Kinderspielgeräte (Rutschbahn, Sandkasten)
  • Rosenspaliere
  • Vogelhäuschen, Hasenställe
  • Kleine Treibhäuser
  • Cheminées (fest eingebaut) (9)

17 Beispiele für Kleinstbauten, welche (nach unserer Auffassung) der Baubewilligungspflicht unterstehen:

  • Whirlpools (fest mit dem Boden verbunden)
  • Tiergehege (Hundebox, Volière etc.)
  • Luft-Wärme-Pumpen
  • Pizza-Öfen

5. Grenzabstände für Kleinstbauten?

18 Die Errichtung von baubewilligungsfreien Bauten und Anlagen entbindet nicht von der Einhaltung aller übrigen Vorschriften (§ 49 Abs. 4 BauV). In einem Fall aus der Stadt Baden, in welchem es um eine Gebäudeinformationsstele ging (siehe Foto), stellte sich die Frage, ob Kleinstbauten einen Grenzabstand einhalten müssen. Das DBVU verneinte dies in seinem Entscheid vom 3. Januar 2012 (BVURA.11.529) deutlich. Der Verordnungsgeber habe bewusst auf Abstandsvorschriften für Kleinstbauten verzichtet. Wenn ein Grenzabstand eingehalten werden soll, so müsse das die kommunale BNO vorschreiben. Das Verwaltungsgericht hat diesen Entscheid mit Urteil vom 23. August 2012 (WBE.2012.48) aufgehoben. Es erwog, dass Kleinstbauten bezüglich der Grenzabstände wie Klein- und Anbauten zu behandeln seien und deshalb einen Grenzabstand von 2m einhalten müssten (10).

Gebäudeinformationsstelle, welche Gegenstand des Urteils

des Verwaltungsgerichts vom 23. September 2012 war.

19 Das Verwaltungsgericht hält zuerst grundsätzlich fest, dass die Kleinstbauten einen Grenzabstand einhalten müssen. Es knüpft an § 51 Abs. 1 BauG an, wonach der Regierungsrat für untergeordnete Bauten, Anlagen und Bauteile geringere Abstände festlegen kann, als es Abstandsvorschriften verlangen. Das Verwaltungsgericht stellt fest, dass der Regierungsrat von seiner Kompetenz z.B. für Klein- und Anbauten Gebrauch gemacht habe (siehe § 19 Abs. 2 BauV, früher § 18 Abs. 2 ABauV). Für Kleinstbauten habe er aber keine «geringeren Abstände» festgelegt. Daraus zog das Verwaltungsgericht den Schluss, dass für Kleinstbauten grundsätzlich die ordentlichen Abstandsvorschriften (11) gelten würden (VGE, S. 9 f. E. 4.2. und E. 4.3.)

20 Das Verwaltungsgericht versucht in der Folge die offensichtlich unbefriedigende Situation, dass für Klein- und Anbauten reduzierte Grenzabstände von 2m gelten und für die Kleinstbauten (mangels Regelung in der Bauverordnung) die ordentlichen Abstandsvorschriften (mit z.B. 4m) gelten sollen, zu «retten». Es erwägt, dass Kleinstbauten von den Dimensionen her eine Teilmenge der Kleinbauten seien und daher wie diese zu behandeln seien. Die Vorschriften der Klein- und Anbauten zu den Grenzabständen (§ 19 Abs. 2 BauV) seien damit auch auf Kleinstbauten anzuwenden (VGE, S. 10 E. 4.3.). Folgerichtig dürften Kleinstbauten den Grenzabstand nur unterschreiten, wenn die betroffene Nachbarschaft hierzu ihre schriftliche Zustimmung erteile (§ 19 Abs 2 BauV) (12).

21 Nach unserer Auffassung hätte man auch einen anderen Weg einschlagen können. Denn grundsätzlich delegiert das Baugesetz die Regelung der Grenz- und Gebäudeabstände an die Gemeinden (§ 47 Abs. 1 BauG) (13). Richtig ist, dass das Baugesetz gleichzeitig dem Regierungsrat das Recht einräumt, «für untergeordnete Bauten, Anlagen und Bauteile» geringere Abstände festzulegen, als es die Abstandsvorschriften verlangen (§ 51 Abs. 1 BauG) (14). Für die Kleinstbauten hat der Regierungsrat «keine geringeren Abstände» festgelegt (15). Fehlt es für Kleinstbauten an einer kantonalen Vorschrift (siehe § 51 Abs. 1 BauG), ist die Frage, ob Kleinstbauten einen Grenzabstand einhalten müssen, vom kommunalen Recht (Bau- und Nutzungsordnung) zu beantworten. In der Regel dürften die Bau- und Nutzungsordnungen keine Regelung enthalten, da die Gemeinden bisher gar keinen Grund hatten, für Kleinstbauten einen Grenzabstand vorzuschreiben. Es liegt eine echte Lücke vor. Das Verwaltungsgericht hätte diese ausfüllen dürfen. Massstab für diese Lückenfüllung wären die im Baurecht (Baugesetz, Bauverordnung, Bau- und Nutzungsordnung) zugrunde liegenden Zielsetzungen und Werte gewesen.

22 Aufgrund der Zielsetzungen und Wertungen des Baurechts (Bauten und Anlagen – Klein- und Anbauten – Kleinstbauten; ordentliches Baubewilligungsverfahren – vereinfachtes Baubewilligungsverfahren – Befreiung von der Baubewilligungspflicht; Zweck der Grenzabstandsvorschriften; bisherige Praxis) ist es nach unserer Auffassung naheliegend, für Kleinstbauten keine Grenzabstandsvorschriften vorzusehen. Kleinstbauten sind sehr kleine Bauten und Anlagen und so lange bewilligungsfrei, als sie die Nutzungsordnung nicht zu beeinflussen vermögen, weil sie entweder den Raum äusserlich nicht erheblich verändern, die Erschliessung nicht belasten oder die Umwelt nicht beeinträchtigen. Insofern besteht kein Grund zur Einhaltung von Grenzabständen, da es hierfür weder öffentliche noch nachbarliche Interessen gibt. Es ist sachgerecht, keinen Grenzabstand für Kleinstbauten zu fordern.

23 Das gilt auch im Vergleich zur Handhabung von Klein- und Anbauten: Die Bauverordnung entbindet die Kleinstbauten von der Baubewilligungspflicht, weil ihre Dimensionen klein sind und sie höchstens unbedeutende nachbarliche oder öffentliche Interessen berühren. Für Klein- und Anbauten hingegen muss ein vereinfachtes Baubewilligungsverfahren durchgeführt werden (§ 50 Abs. 1 lit. a BauV), weil sie grössere Dimensionen haben und nachbarliche oder öffentliche Interessen stärker tangieren können. Diese Unterscheidung ist für die Frage, ob ein Grenzabstand einzuhalten ist, von Bedeutung: Grenzabstände dienen einerseits den Interessen des Nachbarn am Schutz vor rechtserheblichen Einflüssen von Bauten und ihrer Benutzung (z.B. vor Beeinträchtigungen der Belichtung, Besonnung, Belüftung und Aussicht oder zu weitgehender Einsehbarkeit). Andererseits verwirklichen sie öffentliche Interessen, namentlich solche der Feuerpolizei, der Wohnhygiene, der Siedlungsgestaltung und der Ästhetik (16). Da Kleinstbauten per Definition kleiner sind als Klein- und Anbauten und weniger Auswirkungen auf die Öffentlichkeit und die Nachbarschaft haben, sind sie gegenüber den Klein- und Anbauten bezüglich der Grenzabstände privilegiert zu behandeln.

6. Handlungsbedarf und -möglichkeiten

24 Am einfachsten wäre es, wenn der Regierungsrat umgehend die Bauverordnung mit einer Bestimmung ergänzt, wonach Kleinstbauten keine Grenzabstände einhalten müssen (17). Die Kompetenz hierfür hat er (§ 51 Abs. 1 BauG). Da es im Kanton Aargau Unmengen bestehender Kleinstbauten gibt, welche den Grenzabstand von 2m nicht einhalten, und weil im Kanton Aargau täglich Kleinstbauten innerhalb dieses Grenzabstands realisiert werden, besteht rascher Handlungsbedarf, denn all diese Kleinstbauten sind gemäss Urteil des Verwaltungsgerichts widerrechtlich.

25 Auch die Gemeinden haben das Recht, in ihrer Bau- und Nutzungsordnung für Kleinstbauten eine Bestimmung über die Grenzabstände zu treffen (§ 47 Abs. 1 BauG). Kommunale Regelungen werden indes mehr Zeit in Anspruch nehmen (Revision der BNO) und sind zudem aufwändiger im Vergleich zu einer kantonalen Regelung auf Verordnungsstufe.

26 Baubewilligungsbehörden und Bauverwaltungen werden aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts mit der Problematik konfrontiert, dass Kleinstbauten im Sinne von § 49 Abs. 2 lit. d BauV einen Grenzabstand von 2m einhalten müssen. Ein Tätigwerden von Amtes wegen scheint unseres Erachtens zurzeit nicht angezeigt. Es ist zu hoffen, dass der Verordnungsgeber die Rechtslage zügig klärt und der Praxis anpasst. Den Baubewilligungsbehörden und Bauverwaltungen kommt dabei entgegen, dass die Kleinstbauten nicht der Baubewilligungspflicht unterstehen und sie sich deshalb insofern nicht damit befassen müssen («Wo kein Kläger da kein Richter»).

27 Wo das Problem aber an die Baubewilligungsbehörden und Bauverwaltungen herangetragen wird (z.B. in einer Einwendung), empfehlen wir, festzustellen, dass das kantonale Recht für Kleinstbauten keine Abstandsvorschrift enthält und deshalb die kommunale BNO anwendbar ist. Bestenfalls gelingt es, aus einer analogen Vorschrift in der BNO den Schluss zu ziehen, dass kein Grenzabstand einzuhalten ist. Andernfalls kann festgestellt werden, dass in der BNO eine Lücke besteht und diese z.B. in dem Sinn ausgefüllt werden kann, dass Kleinstbauten keinen Grenzabstand einhalten müssen. Wir sind zuversichtlich, dass eine solche Argumentation auch in einem Beschwerdeverfahren geschützt würde.

Bei Fragen oder Anregungen zum Thema nehmen Sie bitte mit uns Kontakt auf unter baurecht@voser.ch.

VOSER RECHTSANWÄLTE

Dr. Peter Heer

Christian Munz

Hier finden Sie das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 23. August 2012 (WBE.2012.48) betreffend die Kleinstbauten.

1 VOSER RECHTSANWÄLTE haben den Eigentümer der Kleinstbaute vertreten und sich auf den Standpunkt gestellt, Kleinstbauten müssten keinen Grenzabstand einhalten. Im Entscheid des DBVU vom 3. Januar 2012 (BVURA.11.529) hat diese Auffassung obsiegt, aber das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 23. August 2012 (WBE.2012.48) das Gegenteil entschieden. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig.

2 Das Begriffspaar wird schon in Art. 22 RPG verwendet. Bauten sind (mindestens) Gebäude, gebäudeähnliche Objekte und Fahrnisbauten. Anlagen sind (mindestens) Verkehrseinrichtungen und erhebliche Geländeveränderungen (EJPD/BRP, Erläuterungen zum Bundesgesetz über die Raumplanung, N 7 zu Art. 22 RPG). Die Abgrenzung der Bauten von den Anlagen ist nicht scharf.

3 Siehe beispielsweise § 49 Abs. 1 lit e BauV «Bauten für Bienen», § 49 Abs. 2 lit. c BauV «Anlagen der Garten- und Aussenraumgestaltung», § 49 Abs. 2 lit. e BauV «Festhütten, Zelte, Hütten, Buden, Baracken, Stände etc.»

4 Art. 22 RPG; § 59 Abs. 1 BauG.

5 Vgl. zum Ganzen: BGE 119 lb 226 f., BGE 113 lb 315 f. E. 2b; vgl. BGE 1C_47/2008 vom 8.08. 2008 E. 2.5.1 m.w.H.; EJPD/BRP, Erläuterungen zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Bern 1981, S. 271 ff.; Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971, 2. Auflage, Aarau 1985, N 2 zu § 150 BauG.

6 Sind weder nachbarliche noch öffentliche Interessen betroffen, ist an sich nicht einsehbar, weshalb überhaupt eine Baubewilligungspflicht bestehen soll; das widerspricht der Natur dieses Instruments. Selbst bei den Bauten und Anlagen, die ausdrücklich von der Baubewilligungspflicht ausgenommen sind (siehe § 49 BauV), sind stets zumindest öffentliche Interessen betroffen. In der Praxis wird das vereinfachte Baubewilligungsverfahren auf Fälle angewendet, die zwar – wegen ihrer Aus-wirkungen auf nachbarliche und/oder öffentliche Interessen – einer behördlichen Überprüfung bedürfen, deren Unterstellung unter das ordentliche Baubewilligungs-verfahren jedoch unverhältnismässig ist. Siehe auch AGVE 2004 S. 166 f. und AGVE 1997 S. 326 f.

7 Die Kompetenz hierzu hat der Regierungsrat aufgrund von § 66 BauG, mit welchem er zur Regelung der Einzelheiten des Baubewilligungsverfahrens beauftragt wird. Die Liste der baubewilligungsfreien Bauten und Anlagen (§ 49 BauV), welche der Regierungsrat aufgestellt hat, ist abschliessend, weshalb im Allgemeinen nicht mehr im Einzelfall entschieden werden muss, ob mit einer Baute oder Anlage nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge so wichtige räumliche Folgen verbunden sind, dass ein Interesse der Öffentlichkeit oder der Nachbarschaft an einer vorgängigen Kontrolle bestehe. Spielraum gibt es immerhin bei den Kleinstbauten als Auffangtatbestand sowie in den nicht abschliessenden Aufzählungen in § 49 Abs. 1 lit. f BauV («Fahnenstangen und dergleichen») sowie in § 49 Abs. 2 lit. c BauV (Aussenanlagen).

8 Immer unter der Voraussetzung, dass die Maximalmasse für Kleinstbauten eingehalten sind.

9 In RRE vom 15.03.1995 i.S. A.R. ging es um ein bewegliches, transportables Cheminée, das von der Baubewilligungspflicht befreit wurde (siehe § 49 Abs. 1 lit. h BauV). Wir sind der Meinung, dass fest eingebaute Cheminées wegen ihrer Immissionen (Rauch, Hitze) einen Grenzabstand einhalten müssen. § 49 Abs. 2 lit. c BauV befreit aber Gartencheminées generell von der Baubewilligungspflicht.

10 Was das Verwaltungsgericht bezüglich Kleinstbauten entschieden hat, gilt sinngemäss wohl auch für die andern Bauten und Anlagen, welche in § 49 BauV von der Baubewilligungspflicht befreit werden. Es könnte im Weiteren auch für die meisten Tiefbauten gelten, denn die Bauverordnung enthält nur für Unterniveau- und unterirdische Bauten sowie Parkierungs- und Verkehrsflächen eine Abstandsregelung, nicht aber für andere Tiefbauten (siehe § 20 BauV).

11 In der Regel 4m oder mehr, häufig den einzelnen Nutzungszonen angepasst.

12 Eine Unterschreitung des Grenzabstands ist im Weiteren auch mit einer Ausnahmebewilligung (§ 67 BauG) zulässig.

13 § 47 Abs. 1 BauG: «Die Gemeinden schreiben Grenz- und Gebäudeabstände vor.».

14 Die Bauverordnung enthält solche Abstandsvorschriften für Klein- und Anbauten (§ 19 BauV), für unterniveau- und unterirdische Bauten sowie Parkierungs- und Verkehrsflächen (§ 20 BauV) sowie für Einfriedungen, Stützmauern und Böschungen (§ 28 BauV).

15 Das DBVU hat in seinem Entscheid vom 3. Januar 2012 (BVURA.11.529) festgehalten, das sei ganz bewusst geschehen, aber in der Meinung, dass dann keine Grenzabstände gelten, sofern die Gemeinden nichts anderes festlegen.

16 AGVE 2010, S. 175 ff.; AGVE 2001, S. 298; Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971, 2. Auflage, Aarau 1985, N 3 zu §§ 163-165 BauG.

17 Das DBVU, welches die Bauverordnung entworfen hatte, vertrat in seinem Entscheid vom 3. Januar 2012 (BVURA.11.529) und im Verfahren vor Verwaltungsgericht die Auffassung, dass Kleinstbauten keine Grenzabstände einhalten müssen. Der Verordnungsgeber habe diese (neue) Kategorie von Bauten gegenüber der Kleinbaute (weiter) privilegieren wollen und daher keine Grenzabstandsvorschriften statuiert. Es gelte somit ein «Nullabstand» (VGE, S. 7 E. 2.3.). Es wäre sicher nicht falsch, wenn das DBVU die Angelegenheit aufnehmen und dem Regierungsrat einen entsprechenden Antrag stellen würde.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner