LEXPRESS Teilrevision des Baugesetzes

Am 1. Mai 2016 trat eine weitere Teilrevision des Baugesetzes in Kraft, die wir Ihnen gerne mit dem vorliegenden LEXpress Baurecht vorstellen.

Gewässerraum (§ 127 BauG)

1. Begriffserläuterungen

Der Gewässerraum ergibt sich aus der Breite der Uferstreifen und der Gerinnesohle (siehe Abbildung 1). Die Breite des Uferstreifens wird bei Fliessgewässern und bei stehenden Gewässern ab Rand der Gerinnesohle und bei Eindolungen ab Innenkante des Eindolungsbauwerks gemessen.

Abbildung 1: Messweise der Uferstreifen

2. Einleitung

Die Gewässerschutzgesetzgebung des Bundes verpflichtet die Kantone, entlang der oberirdischen Gewässer Gewässerräume auszuscheiden. Mit der Revision von § 127 BauG, der am 1. Mai 2016 für die Gebiete innerhalb der Bauzone in Kraft trat (1), und der Gewässerraumkarte, welche der Regierungsrat am 16. März 2016 beschlossen hat, erfüllt der Kanton Aargau seinen Teil der Aufgaben.

Für die beiden Kategorien «Rhein, Aare, Reuss und Limmat» und «kleine Fliessgewässer mit einer bestehenden Gerinnesohlenbreite von weniger als 2 m» legt der neue § 127 Abs. 1 BauG die Breite des Uferstreifens fest. Für diese Gewässer gelangen die Übergangsbestimmungen der Gewässerschutzverordnung des Bundes folglich ab sofort nicht mehr zur Anwendung. Für die Kategorie «übrige Fliessgewässer» legt der Regierungsrat in einer behördenverbindlichen Gewässerraumkarte den Raumbedarf der Fliessgewässer aufgrund ihrer Ökomorphologie (2) nach Massgabe der Gewässerschutzgesetzgebung des Bundes fest (§ 127 Abs. 3 BauG).

In den durch die Uferstreifen festgelegten Gewässerräumen sind gemäss Bundesrecht grundsätzlich nur standortgebundene, im öffentlichen Interesse liegende Bauten und Anlagen bewilligungsfähig. Wir verweisen auf unseren LEXpress Baurecht 3/2013. (3)

3. Rhein, Aare, Reuss und Limmat

Für Rhein, Aare, Reuss und Limmat legt § 127 Abs. 1 lit. a BauG einen beidseitigen Uferstreifen von 15 m fest. Dies entspricht dem Minimum der bundesrechtlichen Vorgaben. Abweichende Festlegungen des Uferstreifens können im Nutzungsplan- oder Sondernutzungsplanverfahren erfolgen.

Abbildung 2: Uferstreifen gemäss § 127 Abs. 1 lit. a BauG

4. Kleine Fliessgewässer

Für kleine Fliessgewässer innerhalb der Bauzone mit einer bestehenden Gerinnesohlenbreite kleiner als 2 m legt § 127 Abs. 1 lit. b BauG einen beidseitigen Uferstreifen von 6 m fest. Dies entspricht dem seit vielen Jahren im Baugesetz festgelegten Gewässerabstand.

Bei starken Beeinträchtigungen des Gewässers, z. B. durch eine das Gewässer einschränkende Mauer (siehe Abbildung 3), widerspricht ein Uferstreifen von 6 m allerdings den zwingenden Minimalanforderungen des Bundesrechts.

Abbildung 3: Spezialfall Gewässer mit Beeinträchtigung

In diesen Fällen bestimmt die Gewässerraumkarte fallspezifisch den Gewässerraum. Bei den kleinen Fliessgewässern reicht also weder für den Bauherrn noch die Bauverwaltung ein Blick ins Gesetz – ergänzend muss (bis zur Umsetzung der Gewässerraumkarte in die Nutzungsplanung) die Gewässerraumkarte konsultiert werden und allenfalls ein breiterer Uferstreifen als 6 m beachtet werden.

5. Übrige Fliessgewässer

Für die übrigen Fälle legt der Regierungsrat nach fachlichen Kriterien (u. a. Ökomorphologie des Gewässers) die Gewässerräume in der Gewässerraumkarte (4) fest. (5)

Abbildung 4: Fachkarte Gewässerraum aus dem Geoportal des Kantons Aargau, Aargauisches Geografisches Informationssystem (AGIS)

Die Gewässerraumkarte ist behördenverbindlich. Grundeigentümerverbindlich wird sie erst mit der Umsetzung in der Nutzungsplanung oder in einem Wasserbauprojekt. Im Rahmen dieser Umsetzung können auch Abweichungen von dem in der Gewässerraumkarte eingetragenen Gewässerraum erfolgen. So können die beiden Uferstreifen ungleich breit ausgeschieden werden oder der Hochwasserschutz macht eine Vergrösserung des Gewässerraums erforderlich. Namentlich in «dicht überbautem Gebiet» (6) kann der Nutzungsplan kleinere Gewässerräume vorsehen, als die Gewässerraumkarte oder die Abstandsbestimmungen in Absatz 1 es verlangen, soweit der Schutz vor Hochwasser gewährleistet ist. (7)

6. Spezialfall eingedolte Gewässer

Das kantonale Recht legt für die eingedolten Gewässer ebenfalls einen Gewässerraum von 6 m fest. Bauvorhaben sind hier (innerhalb des Gewässerraums) grundsätzlich verboten, weil sie den Unterhalt des Leitungsbauwerks und eine spätere Ausdolung erschweren könnten.

7. Stehende Gewässer

Für stehende Gewässer verlangt das Bundesrecht, dass ein Uferstreifen von mindestens 15 m Breite als Gewässerraum ausgeschieden wird. Ist die Wasserfläche kleiner als 0,5 ha, ist es zulässig, auf die Festlegung eines Gewässerraums zu verzichten.

8. Ausnahme: Verzicht auf die Festlegung von Gewässerräumen

Für Fliessgewässer wird kein Gewässerraum festgelegt, wenn sie künstlich angelegt und ohne besondere ökologische Bedeutung sind (8) (zum Beispiel Wasserkraftwerks- oder Industriekanäle, Be- und Entwässerungsgräben, Stadtbäche). Wenn ein Gewässer ausserhalb der Bauzone liegt und die bestehende Gerinnesohle nicht breiter ist als 50 cm, wird ebenfalls kein Gewässerraum festgelegt, der Mindestabstand für Bauten und Anlagen zum Rand der Gerinnesohle beträgt dann aber 6 m. (9)

9. Umsetzung der Vorschriften zum Gewässerraum

Gemäss dem kantonalen Richtplan (Kap. L 1.2, Planungsanweisung 1.1) sind die Gemeinden verpflichtet, den Raumbedarf der Gewässer bei der Nutzungsplanung zu sichern. Die behördenverbindliche Fachkarte Gewässerraum dient dabei als Grundlage für die Umsetzung dieser Gewässerräume in der kommunalen Nutzungsplanung (allgemeine Nutzungsplanung und Sondernutzungsplanung). Die zuständige Behörde darf den Gewässerraum abweichend von diesen gesetzlichen Bestimmungen und der Gewässerraumkarte festlegen:

  • aus Gründen des Hochwasserschutzes,
  • aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes,
  • in dicht überbautem Gebiet, wenn raumplanerische Interessen dies rechtfertigen,
  • wenn weitere Gründe nach Massgabe der Gewässerschutzgesetzgebung des Bundes dies rechtfertigen.

Erst mit dieser Umsetzung in die Nutzungsplanung werden die Gewässerräume grundeigentümerverbindlich. Das bedeutet, dass sich Betroffene auch erst in diesem Zeitpunkt gegen die Festlegung des Gewässerraums zur Wehr setzen können.

Das Departement Bau, Verkehr und Umwelt arbeitet derzeit an einer Arbeitshilfe für die Umsetzung der Gewässerräume in der Nutzungsplanung. Es wird diese Arbeitshilfe – wie bereits diejenige zu den Gewässerräumen im Baubewilligungsverfahren (siehe PDF «Arbeitshilfe Gewässerraum im Baubewilligungsverfahren») – auf seiner Website publizieren.

10. Übergangsrecht / Anwendung im Baugesuchsverfahren

Bedauerlicherweise findet sich im Gesetz keine spezifische übergangsrechtliche Regelung. Nach der bundesgerichtlichen Praxis ist (mangels einer ausdrücklichen übergangsrechtlichen Regelung) regelmässig vom Rechtszustand auszugehen, der im Zeitpunkt der Bewilligung gilt.

§ 127 BauG muss daher auf alle Baubewilligungen, die nach dem 1. Mai 2016 erteilt werden, angewendet werden. Das führt dazu, dass die Übergangsbestimmungen der GschV in Baugesuchsverfahren im Kanton Aargau ab dem 1. Mai 2016 nicht mehr Anwendung finden.(10) Ein derzeit hängiges Baugesuchsverfahren muss deshalb den Vorgaben von § 127 BauG und der Gewässerraumkarte entsprechen.

Achtung: Solange die Umsetzung des Gewässerraums (d. h. der Bestimmungen von § 127 BauG und der Gewässerraumkarte) in einem Nutzungsplan nicht erfolgt ist, darf bei der Beurteilung eines Baugesuchs nicht ausschliesslich auf die Gewässerraumkarte abgestellt werden. Es müssen alle weiteren Kriterien (insbesondere die Gefahrenkarte) im Einzelfall mitberücksichtigt werden. (11)

Selbst in hängigen Beschwerdeverfahren betreffend Baubewilligungen, die vor dem 1. Mai 2016 erteilt wurden, muss der revidierte § 127 BauG nach unserer Auffassung angewendet werden, weil aufgrund der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (12) zwingende Gründe vorliegen dürften, die eine sofortige Anwendung des neuen Rechts erforderlich machen. (13)

11. Fazit für die Festlegung des Gewässerraums

Der neue § 127 BauG befreit weitgehend von der Anwendung der strengen Übergangsbestimmungen des Bundesrechts. Er schafft für die meisten Gewässer im Kanton Rechtsklarheit bezüglich Breite des Uferstreifens. Wo die lediglich behördenverbindliche Fachkarte Gewässerraum noch in der kommunalen Nutzungsplanung umgesetzt werden muss, wartet allerdings noch einige Arbeit auf die Gemeinden. Eine Revision der GschV ist allerdings bereits in Vorbereitung. (14)

Waldabstand (§ 48 BauG)

1. Ausgangslage

Die Kantone haben für Bauten und Anlagen Waldabstände festzulegen (Art. 17 Abs. 2 WaG). (15) Der Kanton Aargau macht dies in § 48 BauG. Die vom Grossen Rat am 20. Oktober 2015 beschlossene Teilrevision des Baugesetzes beinhaltet auch eine Neufassung (Präzisierung) von § 48 BauG. Ziele der Neufassung sind genauere Formulierungen und das Schliessen von Lücken. (16) Zudem wird § 48 BauG an die Begriffe der IVHB angepasst.

2. Zweck des Waldabstands

Mit dem Waldabstand werden verschiedenste Zwecke verfolgt, unter anderem der Schutz des Waldes (samt Fauna) und der Schutz von waldnahen Bauten und Anlagen (und ihrer Bewohner). (17)

3. Abschliessende kantonale Regelung

Die kantonalen Vorschriften (§ 48 BauG) sind abschliessend. Die Gemeinden müssen folglich keine Regelungen treffen. Treffen sie trotzdem Regelungen, müssen sie mit den kantonalen Vorschriften vereinbar sein.

4. Abstandsvorschriften im Allgemeinen (§ 48 Abs. 1 BauG)

Der neue § 48 BauG sieht weiterhin drei verschiedene Waldabstände vor (4 m, 8 m und 18 m):

  • 4 m für 1. Kleinstbauten (18), Einfriedungen (19), Anlagen der Garten- und Aussenraumgestaltung (20) und dergleichen, wenn sie mehr als nur ein minimales Fundament benötigen, 2. Terrainveränderungen (21) und Stützmauern bis 80 cm Höhe, 3. versiegelte Plätze und Strassen (22),
  • 8 m für 1. Klein- und Anbauten (23), unterirdische und Unterniveaubauten (24), Schwimmbäder und Materialabbaustellen, 2. Terrainveränderungen und Stützmauern über 80 cm bis 1.80 m Höhe,
  • 18 m für grössere Bauten und Anlagen.

Lit. a und b sind abschliessend formuliert. Bauten und Anlagen, die (noch) nicht unter lit. a fallen, müssen keinen Waldabstand einhalten. Bauten und Anlagen, welche einen Waldabstand einhalten müssen und nicht unter lit. a und lit. b fallen, sind «grössere Bauten und Anlagen» nach lit. c und müssen einen Waldabstand von 18 m einhalten.

Dass es Bauten und Anlagen gibt, welche keinen Waldabstand einhalten müssen, erwähnt § 48 Abs. 1 BauG nicht ausdrücklich, dies ergibt sich aber im Umkehrschluss. Es handelt sich um all die Bauten und Anlagen, die (noch) nicht unter lit. a fallen. Keine Rolle spielt, ob diese Bauten und Anlagen der Baubewilligungspflicht unterstehen: § 48 Abs. 1 BauG regelt nur den Waldabstand (4, 8 oder 18 m). Als Beispiele, welche keinen Waldabstand einhalten müssen, nennt die Botschaft Zäune aus Holz, die bloss ins Terrain eingeschlagen werden (nicht aber gemauerte Einfriedungen, die ein grösseres Fundament benötigen, das in die Bodenstruktur eingreift), und Kleinstbauten wie Velounterstände, Materialschränke, Kaninchenställe, die direkt auf den Boden gestellt werden oder nur ein minimales Fundament benötigen. (25)

Mit «grösseren Bauten und Anlagen» (lit. c) sind namentlich Hauptgebäude gemeint (Wohngebäude, Gewerbebauten usw.). Ferner fallen zum Beispiel auch Sportplatzanlagen darunter.

5. Waldabstand für Strassen, Stützmauern und Terrainveränderungen (§ 48 Abs. 2 BauG)

Für Strassen, Stützmauern bis 80 cm Höhe und Terrainveränderungen bis 80 cm Höhe gilt ein Waldabstand von 4 m (§ 48 Abs. 1 lit. a BauG). Für Stützmauern über 80 cm bis 1.80 m und Terrainveränderungen (26) über 80 cm bis 1.80 m ist ein Waldabstand von 8.00 m vorgeschrieben. Diese Abstände dürfen neu im Einzelfall unterschritten werden. Hierfür braucht es die Zustimmung des BVU (siehe auch § 63 Abs. 1 lit. c BauG). Ob und in welchem Ausmass der gesetzliche Waldabstand unterschritten werden darf, ergibt sich «direkt gestützt auf die waldgesetzlichen Bestimmungen».

Diese Verweisung auf die «waldgesetzlichen Bestimmungen» ist für die Rechtsanwendung nicht leicht zu verstehen. Offenbar ist mit den «waldgesetzlichen Bestimmungen» Art. 17 WaG gemeint. (27) Eine Abstandsunterschreitung für Strassen, Stützmauern und Terrainveränderungen ist folglich nur zulässig, wenn damit die Erhaltung, Pflege und Nutzung des Waldes nicht beeinträchtigt wird (Art. 17 Abs. 1 WaG). Dabei müssen die Lage und die zu erwartende Höhe des Bestandes berücksichtigt werden (Art. 17 Abs. 2 WaG). Art und Alter der betroffenen Bäume und ihr Wurzelwerk sind zu berücksichtigen. Auch muss die Waldbewirtschaftung problemlos möglich bleiben. Sinn und Zweck des Waldabstandes gelten als Leitlinie für den Entscheid, ob im konkreten Fall eine Abstandsunterschreitung gewährt wird und wie weit diese geht. (28) Zu beachten ist natürlich auch, wie hoch die Stützmauer oder die Terrainveränderung ist, wie lang die Mauer und wie grossflächig die Terrainveränderung ist etc. Da das übergeordnete Waldgesetz ohnehin beachtet werden muss, es also auch für die Anwendung der früheren Fassung von § 48 BauG (29) massgebend war, dürfte die Neufassung inhaltlich kaum etwas ändern.(30)

§ 48 Abs. 2 BauG ermöglicht die Erteilung einer Ausnahmebewilligung. Das vereinfacht das Verfahren wesentlich. Bisher konnte nur für Strassen und nur mittels Sondernutzungsplänen und kantonalen Strassenbauprojekten Waldabstandsunterschreitungen erwirkt werden (§ 48 Abs. 1 lit. c aBauG). Klar ist, dass die Ausnahmebewilligung nach § 48 Abs. 2 BauG nicht eine Ausnahmebewilligung nach § 67 BauG ist, sondern eigenen Regeln folgt.

6. Abweichungen von den kantonalen Vorschriften über den Waldabstand durch Nutzungspläne (§ 48 Abs. 3 BauG)

Inhaltlich nicht geändert hat die Bestimmung, wonach Nutzungspläne (Rahmen- wie auch Sondernutzungspläne (31)) grössere, gegenüber einzelnen Waldparzellen innerhalb der Bauzonen auch kleinere Waldabstände vorsehen können (bisher § 48 Abs. 2 BauG, neu § 48 Abs. 3 BauG).

Dass mittels Nutzungsplänen im Vergleich mit den gesetzlichen Waldabständen auch grössere Abstände festgelegt werden dürfen, ist auch ohne ausdrückliche Regelung klar.

Zu bedauern ist sodann, dass Nutzungspläne nur «gegenüber einzelnen Waldparzellen innerhalb der Bauzonen» kleinere Waldabstände vorsehen dürfen. Das Bedürfnis würde auch dort bestehen, wo ganze (Wohn-) Quartiere den gesetzlichen Waldabstand am Rande der Bauzone unterschreiten. In solchen Fällen wären Waldabstandslinien (Sondernutzungspläne) sachgerecht, welche gebietsbezogen die Füllung von Baulücken, Ersatzbauten, Erweiterungsbauten oder auch neue Nebenbauten bis zu einem verkleinerten Waldabstand zulassen. Die Sondernutzungsplanung ist hierfür das geeignetere Mittel als ein Vorgehen gemäss § 48 Abs. 4 BauG. Diese Möglichkeit besteht leider nicht. (32)

7. Besitzstandsschutz (§ 48 Abs. 4 BauG)

Abs. 4 ist unverändert. Das ist zu bedauern, denn es bleibt weiterhin im Dunkeln, worum es eigentlich geht. Ausgangspunkt sind bestehende Bauten und Anlagen, die den gesetzlichen Waldabstand unterschreiten. Offenbar sind aber nur Bauten und Anlagen gemeint, die den Waldabstand «nicht mehr» einhalten (33), weil der Wald herangewachsen ist oder der Waldabstand vergrössert wurde. Dann hört aber diese relative Klarheit bereits auf: Was noch «im Bereich» von solchen Bauten und Anlagen liegt, ergibt sich aus dem Gesetzestext nicht, denn es ist nicht bekannt, wie gross dieser «Bereich» ist. Ebenso unklar ist, mit welchen neuen Bauten und Anlagen der Waldabstand unterschritten werden darf. Geht es um Anbauten oder Kleinbauten? Oder um Erweiterungsbauten? Offenbar sollen auch Lücken zwischen bestehenden Bauten gefüllt werden können. Wie ist das Verhältnis zu § 68 BauG über die Besitzstandsgarantie? Der einzige Hinweis für die materielle Beurteilung, ob der Waldabstand unterschritten werden darf, ist, dass bei der Interessenabwägung namentlich die Siedlungs- und Freiraumqualität zu berücksichtigen sind (§ 48 Abs. 4 BauG). Zweifellos muss aber auch dem Zweck des Waldabstands (siehe Art. 17 WaG) Rechnung getragen werden.

Sicher ist, dass für die Unterschreitung des gesetzlichen Waldabstands auch hier eine Ausnahmebewilligung nötig ist («ausnahmsweise»). Der Gemeinderat darf die Ausnahmebewilligung nur mit Zustimmung des zuständigen Departements (siehe § 63 Abs. 1 lit. c BauG) bewilligen. Es handelt sich wie bei § 48 Abs. 2 BauG nicht um eine Ausnahmebewilligung nach § 67 BauG. Die materielle Beurteilung, ob eine Ausnahmebewilligung nach § 48 Abs. 4 BauG erteilt werden darf, unterliegt sodann ausdrücklich einer anderen Interessenabwägung als derjenigen, welche nach § 48 Abs. 2 BauG vorzunehmen ist.

8. Messweise der Waldabstände

An der Messweise hat sich mit der Revision von § 48 BauG inhaltlich nichts geändert. Die Waldabstände werden weiterhin ab Waldgrenze gemessen; das steht neu im Einleitungssatz von § 48 Abs. 1 BauG (früher: § 48 Abs. 3 aBauG). Die frühere Fassung von § 48 BauG präzisierte in Abs. 3, dass die Waldabstände «mit allen Bauteilen, ausgenommen denjenigen, welche die Baulinien überschreiten dürfen», einzuhalten sind. Das gilt aber weiterhin, wie sich aus der Bauverordnung ergibt 
(§ 21 Abs. 2 BauV bzw. § 2 ABauV Anhang 3 zur BauV).

9. Verhältnis zu anderen Abstandsvorschriften

Der Waldabstand muss immer eingehalten werden. So ist er auch (kumulativ) einzuhalten, wenn entlang dem Wald eine Strasse verläuft, von welcher der Strassenabstand zu wahren ist. Es genügt nicht, dass entweder der Waldabstand oder der Strassenabstand einzuhalten ist. Im Resultat gilt die für ein Bauvorhaben einschränkendere Abstandsvorschrift.

Grundeigentümerbeiträge (§ 34 BauG)

1. Sinn und Zweck des § 34 BauG

§ 34 BauG legt fest, welche Beiträge von den Grundeigentümern für die Finanzierung der Erschliessungsanlagen erhoben werden müssen oder können. Grundsätzlich sollen Erschliessungsanlagen über Gebühren und Beiträge finanziert werden. (34)

Welche Erschliessungsanlagen für ein baureifes Grundstück notwendig sind, hält § 32 Abs. 1 lit. b BauG fest. Dies sind eine Zufahrt oder ein der Nutzung genügender Zugang, Anlagen für Trinkwasser, Löschwasser- sowie Energieversorgung und eine vorschriftsgemässe Abwasserbeseitigung. Das kantonale Energiegesetz (35) definiert in § 3 wiederum den Begriff «Energieversorgung» als Gewinnung, Umwandlung, Lagerung, Bereitstellung, Transport, Übertragung sowie Verteilung von Energieträgern und Energie bis zu den Endverbrauchern. Als leitungsgebundene Energie gelten Energie und Energieträger, die den Endverbrauchern über Elektrizitäts-, Fernwärme- oder Gasverteilnetze zugeführt werden.

2. Änderung von § 34 BauG

In § 34 BauG wird in Absatz 2 das Wort «elektrische» gestrichen. Es ist nicht mehr nur die Rede von «elektrischer Energie», sondern von «Energie» allgemein. Somit können von den Grundeigentümern Beiträge für alle Arten der Energieversorgung, insbesondere auch für Fernwärme- und Gasverteilnetze, erhoben werden. Die neue Bestimmung reiht sich in die bestehenden Regelungen betreffend die Erschliessung und Energieversorgung ohne Widersprüche ein und wird dem Sinn und Zweck von § 34 BauG gerecht. In der Botschaft zur Baugesetzrevision ist denn auch die Rede von einem gesetzlichen Versehen, welches nun korrigiert werden soll. (36)

3. Auswirkung der Korrektur des § 34 BauG auf Gerichtsverfahren

Gemäss § 35 Abs. 2 BauG ist das Spezialverwaltungsgericht für die Behandlung von Beschwerden gegen Beitragspläne und Abgabeverfügungen zuständig. Aufgrund der Änderung von § 34 Abs. 2 BauG erstreckt sich dessen Zuständigkeit neu auch auf Verfahren betreffend alle Arten von Energie (nicht nur von elektrischer Energie).

Redaktionelle Änderungen ohne materiellen Gehalt

1. Streichung des Begriffs «Zonenplan»

Das Baugesetz hat bislang den Begriff «Zonenplan» als Synonym zum Begriff «Nutzungsplan» verwendet. Das ist falsch, da der Begriff «Zonenplan» lediglich die kartografische Darstellung meint. Der Allgemeine Nutzungsplan einer Gemeinde beinhaltet jedoch nicht bloss die kartografische Darstellung (also den Bauzonen- und Kulturlandplan), sondern auch die dazugehörigen Vorschriften der Bau- und Nutzungsordnung (BNO). Deshalb wird neu im ganzen Baugesetz der Begriff «Zonenplan» gestrichen. Dies betrifft konkret folgende Bestimmungen: Titel nach § 14; § 15 Abs. 1; § 15a Abs. 3; § 170 Abs. 2. (37) Neu wird im ganzen Baugesetz einheitlich der Begriff Nutzungsplan verwendet. (38)

2. Änderung von § 63 Abs. 1 (Anpassung an Gewässerraum)

Gemäss der bisherigen Fassung von § 63 Abs. 1 lit. c BauG bedürfen Bauten und Anlagen, die den Gewässerabstand unterschreiten, der Zustimmung des Departements Bau, Verkehr und Umwelt (BVU). Im neuen Recht wird der Begriff «Gewässerabstand» durch den Begriff «Gewässerraum» ersetzt. (39) Der Begriff «Gewässerraum» entspricht der Wortwahl gemäss neuem Bundesrecht.

3. Vereinheitlichung des Begriffs Einfriedung für Einfriedigung

Die Begriffe «Einfriedung» und «Einfriedigung» sind deckungsgleich. Das kantonale Recht benutzt in neueren Erlassen den Begriff «Einfriedung», so insbesondere auch in der Bauverordnung. Daher wird nun auch im Baugesetz der Begriff «Einfriedigung» gestrichen und mit «Einfriedung» ersetzt. Diese Änderung betrifft die Bestimmungen in § 109–112, § 125 und § 128. (40)

Schlussbemerkungen

Die am 1. Mai 2016 in Kraft getretene Teilrevision des Baugesetzes stellt die Rechtsanwender einmal mehr vor Herausforderungen. Bis zur Umsetzung der Gewässerraumkarte in den kommunalen Nutzungsplanungen dürfte die Rechtsunsicherheit beim Bauen in Gewässernähe gross bleiben.

VOSER RECHTSANWÄLTE

Dr. Peter Heer

Lukas Breunig

Christian Munz

Michael Fretz

Lukas Fuchs

Dr. Thomas Röthlisberger

Daniela Nay

1 Inkrafttreten für Gebiete ausserhalb der Bauzonen: 1. Januar 2017 (AGS 2016/2 – 7).

2 Die Ökomorphologie beschreibt die Gestalt eines Gewässers nach ökologischen Gesichtspunkten. Je abwechslungsreicher und vielfältiger ein Gewässer und seine unmittelbare Umgebung sind, desto wertvoller ist der Gewässerlebensraum.

3 www.voser.ch/kanzlei/newsletter/lexpress-baurecht/gewaesserraum-fuer-fliessgewaesser

4 www.ag.ch/de/dfr/geoportal/online_karten_agis/online_karten.jsp, «Fachkarte Gewässerraum».

5 § 127 Abs. 3 BauG.

6 Vgl. hierzu BGE 140 II 428 und 140 II 437; vgl. Peter Hänni, Tamara Iseli, Bauen im geschützten Gewässerraum: Erste Urteile, BR 2015 S. 82.

7 § 127 Abs.  BauG.

8 § 27 Abs. 1bis lit. a BauG.

9 § 127 Abs. 1bis lit. b BauG.

10 Botschaft des Regierungsrats an den Grossen Rat vom 14. Januar 2015, GR.15.18 (nachfolgend «Botschaft» genannt), S. 17.

11 Botschaft S. 5.

12 BGE 135 II 384 E. 2.3 S. 390.

13 Das Bundesgericht hat die übergangsrechtlichen Bestimmungen der GschV bereits mehrfach für sofort, d. h. auch auf laufende Verfahren, anwendbar erklärt (so in BGer 1C_505/2011 vom 1. Februar 2012 E. 3.1.3; BGE 139 II 470 E. 4.2 S. 481). Wir gehen deshalb davon aus, dass auch bei der Revision von § 127 BauG zwingende Gründe für die sofortige Anwendung sprechen.

14 Verordnungspaket Umwelt Frühling 2017.

15 Bundesgesetz über den Wald (Waldgesetz, WaG). Art. 17 WaG lautet wie folgt: «(1) Bauten und Anlagen in Waldesnähe sind nur zulässig, wenn sie die Erhaltung, Pflege und Nutzung des Waldes nicht beeinträchtigen. (2) Die Kantone schreiben einen angemessenen Mindestabstand der Bauten und Anlagen vom Waldrand vor. Sie berücksichtigen dabei die Lage und die zu erwartende Höhe des Bestandes».

16 Botschaft S. 23 ff.

17 ZIMMERLIN, Baugesetz des Kantons Aargau, Aarau 1985, N 12 zu §§ 163 – 65 BauG.

18 Siehe § 49 Abs. 2 lit. d BauV.

19 Wobei die Höhe offen ist, da die Wertigkeit des Waldes, der Durchlass für die Tiere (Wildsäue, Rehe, Hasen) und die Unterhaltsarbeiten nicht durch die Höhe einer Einfriedung, sondern allein durch die Existenz der Einfriedung beeinträchtigt werden. Anlagen, welche hohe Umzäunungen benötigen, wie zum Beispiel Tennisplätze und Aussenplätze von Gefängnissen, fallen unter § 48 Abs. 1 lit. c BauG («Grössere Bauten und Anlagen», für welche ein Abstand von 18 m gilt. Siehe zum Ganzen Botschaft des Regierungsrats an den Grossen Rat 15.164 (15.18) vom 1. Juli 2015, S. 7 f.

20 Siehe § 49 Abs. 2 lit. c BauV.

21 Es geht hier um Terrainveränderungen bis 80 cm Höhe. Höhere Terrainveränderungen sind Gegenstand von § 48 Abs. 1 lit. b BauG.

22 Gemäss der Botschaft des Regierungsrats an den Grossen Rat 15.164 (15.18) vom 1. Juli 2015, S. 2, führt diese Regelung gegenüber der früheren Rechtspraxis zu keinen Änderungen. Eine neue Strasse dürfe aus Sicherheitsgründen nicht unter dem Kronendach des Waldrands verlaufen, da herabfallendes Geäst Personen verletzen und Sachschaden bewirken kann. Bereits nach bisherigem Recht sei bei neuen Strassen ein Abstand zum Wald von 4 m verlangt worden. Dieser Abstand gilt neu auch für versiegelte (Park-) Plätze.

23 Siehe § 19 BauV.

24 Siehe § 20 BauV.

25 Botschaft S. 23 f.

26 Das Mass der Terrainveränderungen spielt keine Rolle. Ist eine Terrainveränderung innerhalb des gesetzlichen Waldabstands vorgesehen, ist eine Ausnahmebewilligung ungeachtet von § 49 Abs. 1 lit. i BauV nötig, siehe § 49 Abs. 4 BauV.

27 Botschaft S. 24.

28 CHRISTIAN HÄUPTLI, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, N 38 zu § 48 BauG mit Hinweisen auf die Rechtsprechung.

29 Die frühere Fassung von § 48 BauG bestimmte für den Waldabstand von Strassen und von Geh- und Radwegen, welche zwischen der Fahrbahn und dem Wald liegen, was folgt: «In Sondernutzungsplänen und kantonalen Strassenbauprojekten können diese Abstände herabgesetzt werden. Für Flurwege sind Abstandsunterschreitungen direkt gestützt auf die waldgesetzlichen Bestimmungen zulässig» (§ 48 Abs. 1 lit. c BauG).

30 Botschaft S. 24.

31 CHRISTIAN HÄUPTLI, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, N 38 zu § 48 BauG.

32 Es stellt sich die Frage, was mit bestehenden (altrechtlichen) Waldabstandslinien oder Dienstbarkeitsverträgen (mit der Gemeinde als Partei) und Anmerkungen etc. geschieht. Unseres Erachtens behalten diese Festlegungen ihre Gültigkeit, weil sich an den materiellen Bestimmungen zum Waldabstand (FPolG, WaG) nichts geändert hat.

33 Zum Ganzen: CHRISTIAN HÄUPTLI, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, N 41 zu § 48 BauG mit Hinweisen.

34 CHRISTIAN HÄUPTLI, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, 1. Auflage, Bern 2013, § 34 N 4.

35 EnergieG; SAR 773.200.

36 Botschaft S. 22.

37 Botschaft S. 24 f.

38 Leider ist der Begriff unglücklich gewählt, weil auch die Bezeichnung «Nutzungsplan» einen «Plan» meint. Der Begriff «Nutzungsordnung» als Oberbegriff von Zonen- oder Nutzungsplan und Bau- und Nutzungsordnung wäre viel treffender gewesen.

39 Botschaft S. 8.

40 Botschaft S. 25 ff.

Die Autorinnen und Autoren dieses Beitrags:

Dr. Peter
Heer
Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Bau- und Immobilienrecht
+41 56 203 10 39
p.heer@voser.ch
Dr. Lukas
Breunig-Hollinger
Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Bau- und Immobilienrecht
+41 56 203 15 43
l.breunig@voser.ch
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