Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht / Rechtsfall 13
Ich halte 11% der Aktien einer Aktiengesellschaft. Nun behauptet der Mehrheitsaktionär, ich müsse 11 % der Verluste tragen oder ihm die Aktien zurückgeben. Muss ich das?
Aus aktienrechtlicher Sicht kann ein Aktionär nicht verpflichtet werden, Verluste der Gesellschaft mitzutragen. Eine solche Pflicht kann sich aber aus einem besonderen Vertrag mit den übrigen Aktionären (Aktionärbindungsvertrag) ergeben.
Detaillierte rechtliche Auslegung
Gegenüber der Aktiengesellschaft hat ein Aktionär eine einzige Pflicht: Er muss den Ausgabebetrag für die Aktien einzahlen (so genannte Liberierungspflicht). Darüber hinaus können nicht einmal die Statuten vorsehen, dass ein Aktionär Verluste der Gesellschaft tragen oder neues Geld einschiessen muss. Zulässig ist hingegen, dass sich die Aktionäre untereinander verpflichten, die Gesellschaft mit zusätzlichen Mitteln auszustatten. In einem solchen Fall muss der entsprechende Aktionär diesem Vertrag aber ausdrücklich zugestimmt haben.
1. Liberierungspflicht
Gibt eine Aktiengesellschaft neue Aktien aus, so zeichnen die Aktionäre die entsprechenden Aktien und verpflichten sich, den dafür geforderten Ausgabebetrag zu bezahlen (vgl. Art. 630 OR). Der Ausgabebetrag entspricht dabei mindestens dem Nennwert der Aktien (vgl. Art. 624 OR).
Sobald der Aktionär den Ausgabebetrag vollständig bezahlt und damit seine Liberierungspflicht erfüllt hat, gibt es für ihn keinerlei weitere Pflichten gegenüber der Gesellschaft mehr. Ein Aktionär kann auch nicht in den Statuten verpflichtet werden, der Gesellschaft darüber hinaus noch mehr zu leisten (vgl. Art. 680 Abs. 1 OR). Dies im Gegensatz zur Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), bei der die Statuten eine Nachschusspflicht der Gesellschafter vorsehen können.
Die Aktiengesellschaft kann im vorliegenden Fall deshalb keinen Anspruch gegen den Minderheitsaktionär haben, einen Teil der Verluste zu tragen. Dies verbietet das Aktienrecht.
2. Finanzierungspflicht im Aktionärbindungsvertrag
Ein Anspruch der Gesellschaft ist im vorliegenden Fall zwar ausgeschlossen, ein Anspruch des Mehrheitsaktionärs hingegen nicht. Es ist zulässig, dass Aktionäre miteinander so genannte Aktionärbindungsverträge abschliessen und darin untereinander weitere Pflichten vorsehen, die über das Aktienrecht hinausgehen.
Eine nicht untypische Bestimmung kann darin bestehen, dass jeder Aktionär anteilmässig zu seiner Beteiligung am Aktienkapital die Finanzierung der Gesellschaft sicherstellen muss. Der Aktionärbindungsvertrag kann vorsehen, dass ein Aktionär, der dieser Finanzierungsverpflichtung nicht nachkommt, seine Aktien den übrigen Aktionären verkaufen muss.
Ein solcher Aktionärbindungsvertrag kommt aber nur zustande, wenn die entsprechenden Aktionäre diesem zustimmen. Aus Beweisgründen wird ein solcher Aktionärbindungsvertrag in der Regel schriftlich geschlossen. Der Minderheitsaktionär müsste diesen also mitunterzeichnet haben. Liegt keine solche vertragliche Verpflichtung vor, besteht auch keine Pflicht zur Verlusttragung.