Allgemeines Zivilrecht / Rechtsfall 12
Wegen einer Verspätung der SBB habe ich kürzlich meinen Flug nach Hong Kong verpasst. Wie viel Schadenersatz schuldet mir die SBB?
Bei einer Zugsverspätung besteht grundsätzlich eine Haftung der SBB, doch sie ist stark eingeschränkt. Kann die Reise auf Grund einer Verspätung nicht mehr am selben Tag fortgesetzt werden, haben Sie je nach den Umständen Anrecht auf eine Hotelübernachtung (inkl. Frühstück) oder eine Taxifahrt. Wenn Sie auf Grund einer Verspätung einen im Fahrplan vorgesehenen Anschluss (gilt nicht für einen Anschlussflug) verpassen, können Sie im Wesentlichen die Rückerstattung des Fahrpreises verlangen. Die SBB können sich von dieser Haftung befreien, wenn sie beweisen, dass der Schaden auf ein Verschulden der reisenden Person zurückzuführen ist oder auf Umständen beruht, die sie nicht vermeiden und deren Folgen sie nicht abwenden konnten (z.B. Personenunfall, Unwetter, Steinschlag, Streik etc.).
Darüber hinaus trifft die SBB keine Haftung.
Detaillierte rechtliche Auslegung
Verpasst ein Reisender auf Grund einer Zugsverspätung seinen Flug, resultieren Kosten wie Umbuchungs- oder Stornierungsgebühren. Ist keine Umbuchung oder Stornierung möglich, bleibt der Passagier auf den vollen Kosten für den nicht in Anspruch genommenen Flug sitzen. Es fragt sich, für welche Kosten die SBB verantwortlich gemacht werden können.
1. Der Beförderungsvertrag
Mit jedem Kauf einer Fahrkarte wird ein Beförderungsvertrag abgeschlossen. Dieser verpflichtet die SBB den Reisenden rechtzeitig vom Abgangs- bis zum Bestimmungsort zu befördern. Für den durch die Verspätung entstandenen Schaden sind die SBB grundsätzlich haftbar. Die Haftung ist allerdings durch das Personenbeförderungsgesetz (PBG) erheblich eingeschränkt.
2. Entschädigung bei verpasster letzter Zugverbindung
Verpasst der Passagier den letzten im Fahrplan vorgesehenen Anschluss, haften die SBB nach Art. 21 Abs. 1 PBG. Der Schadenersatz ist beschränkt auf die «Unkosten, höchstens jedoch für eine Übernachtung mit Frühstück» (Art. 61 Abs. 2 PBG). Andere Kosten wie Telefon, weitere Verpflegung etc. sind nicht zu ersetzen. Ist eine Taxifahrt zum Bestimmungsort vorteilhafter und kostet sie nicht mehr als die Übernachtung, darf der Passagier diese wählen. Gemäss Homepage der SBB darf die Hotelübernachtung (inkl. Frühstück) bzw. die Taxifahrt maximal CHF 150 kosten.
3. Entschädigung bei Anschlussbruch
Ein Passagier, dessen Kurs ausfällt oder verspätet ist und der deshalb einen im Fahrplan vorgesehenen Anschluss verpasst (sog. Anschlussbruch), hat die Wahl zwischen verschiedenen Rechten. Er kann:
- auf die Weiterreise verzichten und den Preis für die nicht befahrene Strecke zurückverlangen;
- gratis an den Abgangsort zurückkehren und den Preis für die ganze Reise zurückverlangen;
- mit dem nächsten geeigneten Kurs weiterreisen, wobei die SBB gegebenenfalls die Geltungsdauer des Billetts zu verlängern oder einen Strecken- oder Klassenwechsel vorzunehmen haben, ohne dass sie dafür einen Zuschlag verlangen können;
- im Einverständnis mit den SBB mit einem anderen Transportmittel (z.B. Bus statt Eisenbahn) weiterreisen.
Der Anschlussbruch kann auch transportmittelübergreifend erfolgen, wenn beispielsweise der Bus ausfällt und der Passagier deswegen den Zug verpasst. Die vorgenannte Regelung gilt jedoch nicht für verpasste Anschlüsse an Flugverbindungen, da das PBG auf Luftbeförderungen nicht anwendbar ist (Art. 1 Abs. 2 PBG).
4. Sorgfaltsbeweis
Die SBB sind von der vorstehend aufgeführten Haftung befreit, wenn sie beweisen, dass der Schaden auf ein Verschulden des Passagiers zurückzuführen ist oder auf Umständen beruht, die die SBB nicht vermeiden und deren Folgen sie nicht abwenden konnten. Solche Umstände sind z.B. ein Personenunfall, ein Unwetter, ein Steinschlag oder ein Streik.
5. Kein Schadenersatz wegen verpasstem Flug
Abgesehen von den in den Ziffern 2 und 3 hiervor genannten Entschädigungen besteht keine Haftung der SBB. Insbesondere haften die SBB nicht für mittelbare Schäden wie einen verpassten Flug, einen verpassten Geschäftsabschluss, eine verpasste Theatervorstellung, einen Arbeitsausfall etc.
6. Internationale Zugreisen
In der EU gilt für den Bahnverkehr die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates von 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (Verordnung 1371/2007). Diese EU-Verordnung sieht bei Zugsverspätungen pauschalierte Entschädigungen vor: Ab 60 Minuten Verspätung werden 25 % des Fahrpreises erstattet, ab 120 Minuten 50 % des Fahrpreises.
Die EU-Verordnung wurde in der Schweiz zwar noch nicht übernommen, die SBB wenden die vorgenannte Entschädigungsregelung (ab 60 Minuten = 25 %; ab 120 Minuten = 50 %) beim internationalen Reiseverkehr aber bereits heute auf freiwilliger Basis an.
7. Fazit
Verpasst ein Passagier auf Grund einer Zugsverspätung den letzten Anschluss, hat er Anspruch auf eine Hotelübernachtung inkl. Frühstück oder eine Taxifahrt bis maximal CHF 150. Verpasst der Reisende auf Grund eines ausgefallenen oder verspäteten Zugs einen im Fahrplan vorgesehenen Anschluss, hat er die Wahl zwischen (i) Verzicht auf die Zugsfahrt und Erstattung des Fahrpreises für die nicht befahrene Strecke, (ii) freie Rückfahrt und Erstattung des gesamten Fahrpreises oder (iii) Weiterreise ohne Bezahlung eines Zuschlags. Die SBB können sich von der Haftung befreien, wenn sie nachweisen, dass sie die nötige Sorgfalt angewendet haben.
Bei internationalen Zugsreisen hat der Reisende bei einer Verspätung ab 60 Minuten Anspruch auf 25 %des Fahrpreises, ab 120 Minuten auf 50 % des Fahrpreises.
Darüber hinaus schulden die SBB keinen Schadenersatz, insbesondere nicht für mittelbaren Schaden wie die Umbuchungsgebühr des verpassten Fluges etc.